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Wo ich zu Hause bin

Wo ich zu Hause bin

Titel: Wo ich zu Hause bin
Autoren: Anselm Gruen
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sie in Wirklichkeit sind, was ihre Identität ausmacht. Es ist dieSuche nach dem, was wir eigentlich sind. Es ist die Suche nach dem Einklang mit uns selbst, nach der inneren Ruhe, die unsere aufgewühlte Seele heilt. So hat es Friedrich Hölderlin gesehen in seinem Gedicht »Die Heimat«.
    Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
    Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
    So käm’ auch ich zur Heimat, hätt’ ich
    Güter so viele wie Leid geerntet.
     
    Ihr teuern Ufer, die mich erzogen einst,
    Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
    Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
    Komme, die Ruhe noch einmal wieder?
     
    Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
    Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
    Dort bin ich bald; euch, traute Berge,
    Die mich behüteten einst, der Heimat
     
    Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
    Und liebender Geschwister Umarmungen
    Begrüß’ ich bald, und ihr umschließt mich,
    Dass, wie in Banden, das Herz mir heile,
     
    Ihr treugebliebnen! Aber ich weiß, ich weiß,
    Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht,
    Dies singt kein Wiegensang, den tröstend
    Sterbliche singen, mir aus dem Busen.
     
    Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
    Die Götter, schenken heiliges Leid uns auch.
    Drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde
    Schein ich; zu lieben gemacht, zu leiden.
     
    Friedrich Hölderlin
    Dieses Gedicht ist fern aller romantischen Schwärmerei von der Heimat. Es ist voller Skepsis, ob die Heimat das einhält, was sie verspricht. Zunächst spricht Hölderlin davon, dass die Ufer des Neckars, an denen er aufgewachsen ist, ihn gleichsam erzogen haben. Nicht nur die Menschen, die Landschaft selbst hat ihn erzogen. Und die Wälder seiner Heimat haben ihm Ruhe geschenkt. Doch jetzt zweifelt er, ob sie seiner Liebe Leiden stillen und ihm die ersehnte Ruhe wieder schenken können. Hölderlin schwankt zwischen seiner Sehnsucht nach einer Heimat, die seine Wunden heilt und ihm den Einklang mit seinem Wesen schenkt, und den Zweifeln, dass das doch nicht gelingt. Die Berge seiner Heimat behüteten ihn einst, und das Haus der Mutter und die Liebe seiner Geschwister heilten damals die kindlichen Wunden. Doch jetzt weiß er, dass der Liebe Leid nicht mehr so leicht geheilt werden kann. Denn – das hat er auf seinem Weg in die Fremde erfahren – die Götter schenken dem Menschen auch heiliges Leid. Es ist ein Leid, das zur Würde des Menschen gehört, das heilig ist, das ihn öffnet für das Heilige. So ist es seine Bestimmung, zu lieben und zu leiden. Und von dieser Bestimmung kann ihn auch die Heimat nicht befreien.So bleibt die Sehnsucht nach der heilenden Heimat unerfüllt. Und dennoch sehnt sich der Dichter weiter nach der Ruhe und der Sicherheit und Geborgenheit, die er mit der Heimat verbindet. Es ist die Sehnsucht, dass er mit der Liebe, die ihm als Kind von der Mutter reichlich zufloss und die er als Jugendlicher in seiner Freundin erlebt hat, wieder in Berührung kommt und so zu seinem wahren Wesen findet, zu dem Menschen, der fähig ist zu lieben und zu leiden.
    Die deutsche Sprache hat viele Wendungen mit »heim« und »Heimat«. In der Bibel wird davon gesprochen, dass Gott sein Volk heimsucht. Das griechische Wort für »besuchen« wird zu »heimsuchen«. Heimsuchung kann aber auch etwas Negatives sein. Wir können heimgesucht werden von Krankheit und Not. Luther spricht davon, dass wir Gott alles, was wir haben, heimgeben sollen. Später wurde daraus das Wort »anheimgeben«. Indem wir Gott alles geben, sind wir bei ihm daheim. Voller Emotion ist auch das Wort »heimkehren«. Jakob spricht davon, dass er wohlbehalten heimkehrt in das Haus seines Vaters (Gen 28,21). Viele Menschen sehnen sich, aus der Fremde heimzukehren, heimzukommen, um wieder daheim zu sein. Doch Franz Kafka hat diese Sehnsucht in seiner Erzählung »Heimkehr« als Illusion entlarvt. Da kommt ein junger Mann heim. Aber er bleibt draußen stehen. Er wagt nicht, ins Haus zu gehen. Das Heim, in dem sein Vater wohnt, bleibt ihm fremd, weil der Vater ihm entfremdet ist. Die kurze Erzählung schließt mit den Worten: »Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wirdman. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte? Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will?« 12 Weil der junge Mann das Heim seines Vaters nicht mehr als Heimat empfindet, möchte er sein Geheimnis auch mit keinem Menschen teilen, sondern es schützen, um wenigstens
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