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Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Titel: Wo gibt es neue Schuhe, Genossen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zuständig für die Nachtschicht war, und Gorski bekam ihn auch nach vielen Hin- und Herschaltungen an den Apparat, aber was der gute, brave, nachtarbeitende Genosse mitteilte, war niederschmetternd.
    »Unser Kombinat stellt nur linke Schuhe her!« erklärte er. »Wir haben nur Maschinen für links! Der rechte Schuh geht uns nichts an! Unsere Spezialität bei dreifacher Sollerfüllung ist der linke Schuh! Im Augenblick arbeiten wir an der Serie Nowgorod …«
    »Ich weiß!« stöhnte Gorski. Seine Hautfarbe hatte ein lichtes Gelb angenommen. »Aber in der Sowjetunion leben nicht nur Einbeinige! Wir alle haben einen linken und rechten Fuß!«
    »Das ist genau in der Planwirtschaft berücksichtigt worden!« sagte der Betriebsleiter in Krasnojarsk. »Um alles reibungslos und ohne Pannen ablaufen zu lassen, stellt die eine Fabrik rechte Schuhe her, die andere linke. Wir also die linken! Dreifacher Soll, Genosse!«
    »Und wie kommen diese beiden Schuhe am Ende zusammen?« brüllte Gorski und wurde noch gelblicher im Gesicht.
    »Ebenfalls ganz einfach: Bei einer Zuteilung liefert das eine Kombinat zur gleichen Zeit wie das andere Kombinat aus. Am Zielort kommen dann also beide Schuhe zusammen an, linke und rechte. Man braucht sie nur noch zusammenzustellen.«
    »Sehr einfach, und vor allem voller Sparsinn!« sagte Dr. Balujew. »Zwei Transporte, doppelte Schachteln …«
    »Ruhe!« brüllte Gorski. »Nein, nicht Sie, Genosse Betriebsleiter. Ich habe hier Menschen um mich, die von Planwirtschaft nichts verstehen! Es ist nun so, Genosse: Wir haben hier in Nowo Tschemka 1.500 Schuhe bekommen.«
    »Gratuliere.«
    »Aber nur linke!«
    Das war eine Eröffnung, die den Betriebsleiter in Krasnojarsk hörbar verunsicherte. Er schwieg ein paar Sekunden und fragte dann stockend:
    »Keine rechten?«
    »Nicht einen!«
    »Das ist unmöglich! Wir liefern nur aus, wenn wir wissen, daß das Kombinat für rechte Schuhe zur gleichen Zeit seinen Transport abschickt. Für diese Koordination ist unsere Schuhindustrie berühmt! Da stimmt doch etwas nicht!«
    »Darum rufe ich auch um diese Zeit an, Genosse! Wer stellt denn die rechten Schuhe her?«
    »Das Kombinat in Kemerowo, östlich von Nowosibirsk!«
    »Amen!« sagte Väterchen Wladimir und faltete die Hände. »Gott, warum wendest DU DICH von uns Armen ab?«
    »Und was nun?« schrie Gorski. Er starrte auf den armen Amossow, der bald vom Stuhl rutschte, und stierte dann zu Dr. Balujew, der im Zimmer hin und her ging. Die beiden Fahrer an der Wand verfolgten alles mit ehrlichem Mitgefühl. Sie wußten nur eins: Wir sind gerettet! An uns liegt es nicht.
    »Ist es möglich, daß die 1.500 rechten Schuhe noch unterwegs sind von Kemerowo nach Jenisseisk?«
    »Nein! Wenn das Zentrallager Jenisseisk bereits die linken Schuhe hat – unsere linken Nowgorod –, aber die rechten noch nicht angekommen sind, besteht wenig Hoffnung. Irgendwie ist eine Sendung fehlgelaufen …«
    Bevor Gorski erneut losbrüllen konnte, legte der Genosse Betriebsleiter in Krasnojarsk auf. Solche nächtlichen Unterhaltungen haßte er. Wer nachts so herumbrüllt wegen lausiger 1.500 rechter Schuhe, ist verabscheuungswürdig! Gibt es keine anderen Sorgen auf dieser Welt?!
    Gorski warf den Hörer auf den Apparat zurück und wischte sich über das Gesicht. Kalter Schweiß bildete sich auf seinem Körper, und er kämpfte gegen einen Abfall seines Blutdruckes an. Dr. Balujew öffnete seine Arzttasche und holte vorsorglich eine Flasche mit Tropfen heraus.
    »Es bleibt keine andere Wahl«, sagte der Pope Wladimir würdevoll. »Jetzt muß es anders herumgehen. Auch in Kemerowo werden sie eine Nachtschicht haben. Rufen wir den dortigen Betriebsleiter an! Das Ganze noch einmal.«
    Nach Einnahme von Tropfen gegen Herzschmerzen, die auch der völlig gebrochene Amossow verlangte und die Dr. Balujew auch dem Popen verabreichte als reine Prophylaxe, gelang es nach drei Stunden, das Schuhkombinat Kemerowo ans Telefon zu bekommen.
    Vor dem Fenster dämmerte bereits der Morgen. Der Himmel über der Taiga bekam einen rötlichen Schimmer. Ein neuer, herrlicher, warmer Tag brach an … das erkannte man an diesem Sonnenaufgang.
    Was man aus Kemerowo hörte, war noch bedrückender. Der Genosse Betriebsleiter für die rechten Schuhe saß zufällig neben dem Versandbüro, das heißt, er hatte dort auf einem Sofa gelegen und geschlafen, und konnte deshalb sofort in die Transportakten einsehen.
    »Zentrallager Jenisseisk …«, wiederholte er.»Aha!
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