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Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Titel: Wo gibt es neue Schuhe, Genossen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Post, und nur was sie für gut erachtet, bekommt der maßgebende Genosse zu lesen. Glaubt ihr, unser Brief wäre darunter? Ich nicht! Nein! Er muß persönlich abgegeben werden. Wir schicken eine Delegation hin. Wer in Nowo Tschemka am abkömmlichsten ist, soll sich auf die Reise begeben und einen Antrag für die Sonderzuteilung von 1.500 rechten Schuhen überreichen. Na, ist das eine Idee?«
    Immerhin war sie es wert, daß man sich Gedanken darüber machte, wer in Nowo Tschemka am entbehrlichsten war. Bei dem Versuch, diese Frage zu beantworten, wurde erst einmal entdeckt, wie schwer eine solche Bewertung war. Schließlich waren drei Genossen ausgewählt, die man glaubte, für ein paar Tage vermissen zu können: den Sargtischler Wassja Lukanowitsch Grijenkow, der eigentlich die ganze Aufregung verursacht hatte, den Totengräber Leonid Iwanowitsch Kasakow und als dritten Mann den Flötenspieler Abraham Grigorijewitsch Ulanski, der im Orchester von Nowo Tschemka tirilierte und zudem noch von allen dreien der Intelligenteste war. Es wurde sogar beschlossen, in der Zeit seiner Abwesenheit nur Musikstücke zu spielen, in denen keine Flöten vorkamen … aber das war von zweitrangiger Bedeutung.
    Als man nun immerhin schon soweit gekommen war, sagte der Pope Wladimir: »Ein sehr guter Plan! Aber wir drehen uns und beißen uns sozusagen in den eigenen Hintern, liebe Kinder des Herrn. Nehmen wir an, der Genosse in Irkutsk ist ein Freund des Sekretärs von Nowo Tschomska, denn dieser Ort – Gott schütte Kübel über ihm aus – liegt Irkutsk näher als der unsere! Was wird der hohe Genosse tun?«
    »Der Plan ist gestorben!« Gorski winkte ab. »Es bleibt bei unserem ersten Entschluß: Wir werden mit den 1.500 linken Schuhen leben müssen, bis uns das Wunder einer Zuteilung von 1.500 rechten Schuhen ereilt! Ich werde Amossow den Auftrag geben, die Kartons gut und schimmelsicher zu lagern und sie jeden Monat zu kontrollieren. Zweimal im Jahr werden sie eingefettet, damit bloß nichts an ihnen geschieht!«
    Genauso geschah es, liebe Freunde.
    Von keiner Seite kamen Anfragen, niemand klagte öffentlich über die Panne der Planwirtschaft, das Kombinat von Krasnojarsk schwieg ebenso wie das Kombinat von Kemerowo … nur las man später in den Zeitungen, daß die sowjetische Schuhindustrie an der Spitze der Weltproduktion liege und den Weltstandard an Qualität längst überboten habe.
    Großmütterchen Valentina Mahmednowka starb nach zwei Monaten. Bis zu ihrem letzten Atemzug glaubte sie unbeirrt, die rechten Schuhe könnten noch eintreffen. Ihr Tod leitete einen langen, eisigen Winter ein, in dem man andere Sorgen als fehlende Schuhe hatte. Nur Amossow verfluchte die 1.500 Kartons. Er mußte jeden einzelnen monatlich einmal nachsehen. Er hatte dabei die linken Schuhe in die Hand zu nehmen, sie zu kontrollieren und – wo sich Ansätze von Schimmel zeigten – sie sofort einzufetten.
    Dann wurde es Mai. Eis und Schnee waren geschmolzen. Die Ostermesse war besonders feierlich ausgefallen, weil Väterchen Wladimir auch wegen der fehlenden Schuhe intensiv betete. Die Schlammperiode, in der man nur mit Raupenschleppern bis nach Nowo Tschemka kommen konnte, war auch vorüber, die Taiga blühte und duftete wieder, und Dr. Balujew war viel unterwegs, denn der Mai war der Monat, in dem die meisten Kinder geboren wurden.
    Da traf es Gorski, Amossow und die ganze Stadt wie ein Keulenschlag: Das Zentrallager in Jenisseisk schickte eine neue Versandankündigung: 1.500 neue Schuhe für Nowo Tschemka. Seriennummer 5678. Modell: Astrachan.
    »Das überlebe ich nicht!« stöhnte Gorski, der sofort den Popen und Dr. Balujew hatte rufen lassen. Amossow weinte wieder still vor sich hin. Seit Monaten träumte er jede Nacht von Schuhen und lief – wenn es die Witterung zuließ – aus Protest nur noch barfuß herum.
    »Hier, lest es selbst, Genossen: 1.500 Stück! Nicht Paar! Stück! Es geht alles wieder von vorne los. Und dann noch ein neues Modell! Astrachan! – Wer soll so etwas seelisch und körperlich durchstehen?!«
    Diesmal sagte man nichts. Fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit trafen die Schuhe ein. Es waren – natürlich – die gleichen Fahrer, der gleiche Lastwagen mit Anhänger, die gleichen Schuhkartons – diesmal nur mit anderen Nummern und Typenbezeichnungen.
    Gorski, Amossow und der Pope stürzten sich auf den ersten Karton, der hinter dem Parteihaus ausgeladen wurde. Dr. Balujew holte Herztropfen aus seiner
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