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Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Titel: Wo gibt es neue Schuhe, Genossen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein Metallkreuz haben wollte, mit einem Christuskörper daran, wurde es ganz kritisch. Dann taten sich Wassja und der Schmied von Nowo Tschemka zusammen und schufen ein handwerkliches Kunstwerk, das dann leider immer von der roten Fahne überdeckt wurde. Denn darauf legte der Stadtsowjet von Nowo Tschemka, der Genosse Parteisekretär Andrej Fillipowitsch Gorski, großen Wert: Die rote Fahne war immer dabei, schon um den Popen Wladimir zu ärgern.
    Alles unwichtig, meinen Sie? Was hat das mit den neuen Schuhen zu tun? Gibt es keine Schuster in Nowo Tschemka, wo's doch ein so schönes Städtchen in einer jungfräulichen Landschaft ist?
    Es gab sogar drei – aber die erneuerten nur Absätze und Sohlen, oder setzten Flicken auf die zerschlissenen Stellen des Oberleders. Neue Schuhe zu machen, für eine ganze Kleinstadt, das würde sie völlig überfordern. Sie kamen nicht einmal mit den Reparaturen nach, und wenn jemand ein Plansoll für Schuster einführen würde, die drei Genossen Schuhmacher von Nowo Tschemka wären einiger goldener Medaillen würdig gewesen!
    Nun ist das so mit der Planwirtschaft: Schuhe werden in großen Schuhfabriken hergestellt. Da sitzen Hunderte von Frauen und Männern an modernsten Maschinen, in riesigen, temperierten Hallen, es knattert, hämmert, raschelt, kracht, knirscht und zischt in drei Schichten – und ganz am Ende gleiten auf einem Transportband die fertigen Schuhe lautlos und glänzend, schön und herzerfrischend anzuschauen, hinüber in die Pack- und Versandhalle.
    Hier beginnt es, sehr sozialistisch zu werden: die Lieferungen werden nach einem besonderen, von sehr genauen Bürobeamten errechneten und zusammengestellten Bedürftigkeitsgrad aufgeteilt und auf den Weg gebracht. Mit Lastwagen, mit Güterwaggons der Eisenbahn, mit Frachtschiffen auf den breiten Flüssen. Die Schuhe landen dann in den einzelnen Zielgebieten bei den staatlichen Zuteilungsstellen, den Einkaufszentralen, die wiederum nach einem Bedürftigkeitsgrad, von fleißigen Bürobeamten ausgerechnet, die Schuhe an Unterverteilungszentralen weiterleiten. Dort blättert man wieder in Listen, wer im nun überblickbaren Gebiet am dringendsten Schuhe braucht … und siehe da, eines Tages kommen sie im kooperativen Magazin an und können verkauft werden.
    Man muß zugeben: Es ist gar nicht so einfach, neue Schuhe gerecht zu verteilen! Daß nun Nowo Tschemka endlich auch auf der Liste stand und die Schuhe – laut dem beim Magazinverwalter Amossow vorhandenen Lieferschein – bereits unterwegs waren, rechtfertigte das Herumrennen Wassjas durch die kleine Stadt. Er, als Außenstehender, wußte es ja zuerst. Und das auch nur, weil er Amossows Großmütterchen Valentina Mahmednowka, die todkrank zum Sterben bereit im Bett lag, bereits heute vermessen hatte, um ihr einen schönen Sarg zu zimmern.
    »Ich werde mich selbst erkundigen, ob du nicht lügst!« sagte Väterchen Wladimir jetzt und schlug ein Kreuz vor der einäugigen Madonna mit dem Jesuskind ohne Nase. Das war ein Gemälde von besonderer Schönheit, welches ein in Nowo Tschemka geborener und in Moskau ausgebildeter Künstler gemalt hatte. Leider starb er kurz vor Vollendung des Bildes durch seine eigene Unvorsichtigkeit. Er ging im Wald genau an der Stelle spazieren, an der die Holzfällerkolonne des Kombinats ›1. Oktober‹ gerade rodete und sich bereit erklärt hatte, das doppelte Soll zu erfüllen. Da guckt man nicht durch die Gegend – da müssen die Bäume purzeln! Ein dicker Stamm fiel also auf den begabten Maler und beendete damit auch das Marienbild. Da niemand in Nowo Tschemka in der Lage war, das eine Auge der Maria und die Nase des Jesuskindes fertigzumalen – selbst nicht der Zeichenlehrer an der Schule –, blieb das Gemälde ein Torso. Väterchen Wladimir hing es trotzdem in seiner Kirche auf, weil es so schön war. Gemalt im Stil der Nowgoroder Schule.
    »Wenn es stimmt«, sagte der Pope ernst und wandte sich wieder Wassja zu.
    »Was dann?« fragte Grijenkow.
    »Wenn die Schuhe eintreffen, lasse ich die Glocken läuten!« Der Pope blickte dankbar auf die einäugige Maria. »Es ist wert, Gott dafür zu preisen! Ich brauche auch neue Schuhe …«
    Man soll es nicht glauben: Wassja log nicht!
    Nachdem wie ein Lauffeuer die Nachricht durch die kleine Stadt geweht war, ließ Parteisekretär Gorski den Lautsprecher auf dem Parteihaus anstellen und seine Stimme über die Häuser und Straßen erschallen. Juri Leonidowitsch Amossow hatte das Magazin
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