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Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Titel: Wo gibt es neue Schuhe, Genossen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Zimmerdecke. »Ha, beweisen werde ich euch das!«
    Dr. Balujew bedachte sie mit einem bösen Abschiedsblick und verließ dann den Raum.
    Großmütterchen schickte ihm ein meckerndes Lachen nach, aber das ging im Türenschlagen unter.
    »Sie stirbt nicht!« sagte draußen der arme Amossow. Er wurde bereits müde, seine Lider klappten immer wieder zu.
    »Nein, sie denkt nicht daran.«
    »Wegen der neuen Schuhe?«
    »Ja!«
    »Und wenn sie nicht eintreffen?«
    »Dann stirbst sie erst recht nicht … vor Wut!« Dr. Balujew packte seine Arzttasche. »Ich gehe jetzt hinüber zu Gorski und werde über die Parteistellen bessere Informationen heranholen. Leg dich ins Bett, Juri.«
    Amossow nickte schwer, schloß hinter Dr. Balujew die Tür ab, schwankte in sein Schlafzimmer, einer Nische neben dem Wohnraum, und rollte sich auf die Matratze. Der Schlaf nahm ihn gnädig von der Erde weg. Nur sein Traum war furchtbar: Vom Himmel regnete es Schuhe und erschlugen ihn Stück für Stück.
    Der Parteisekretär war noch auf den Beinen und saß hinter dem amtlichen Schreibtisch am Telefon, als die Gorskaja, seine etwas dümmliche Frau, die immer kicherte, wenn Dr. Balujew sagte: »Und nun heb mal deine linke Brust hoch, damit ich ans Herz kann!«, ihm die Tür des Parteihauses öffnete.
    »Es läuft alles wie der Nachschub im Krieg!« rief Gorski, indem er die Sprechmuschel zuhielt. »Ich habe gerade Sukhoi am Apparat. Der Lastwagen mit dem Anhänger ist eben durch das Dorf gefahren!«
    »Also doch!« Dr. Balujew setzte sich auf einen grün lackierten Stuhl.
    »Was heißt: Also doch?! Genosse Doktor, auf unsere Planwirtschaft ist Verlaß. Sie ist das Fundament des sozialistischen Wohlstandes.«
    Er nahm die Hand von der Muschel, sagte: »Danke, Genosse!« und legte auf. »Auch unser Begleitschutz ist schon unterwegs!«
    »Was höre ich da?!« Dr. Balujew stellte die Arzttasche neben den grünlackierten Stuhl.
    »Doktor, Sie kennen doch Barraska!« Gorski lehnte sich zufrieden zurück. »Es steht nicht auf der Zuteilungsliste. Das weiß ich jetzt sicher. Aber der Wagen mit den neuen Schuhen muß mitten durch Barraska hindurch. Es gibt keinen anderen Weg! Deshalb sind Fedja, drei Wagen des Holzkombinats mit zehn Männern und zwanzig Genossen zu Pferd unterwegs, um die Lieferung sicher nach Nowo Tschemka zu bringen.«
    »Es gibt also wirklich neue Schuhe, Andrej Fillipowitsch?«
    »Wenn die Organisation erst einmal angelaufen ist, funktioniert sie wie ein bemannter Satellit! Der Lastwagen wird übermorgen früh bei uns eintreffen. Der Fahrer will in Konduyuk übernachten. Von dort ab begleitet ihn unsere Mannschaft! Na …!«
    Gorski sah Dr. Balujew beifallheischend an. »Ist das gut durchorganisiert? Im Krieg nennt man so etwas Logistik!«
    »Ich weiß, wie man das nennt!« Dr. Balujew blickte Gorski nachdenklich an. »Und wenn es zu Zusammenstößen kommt?«
    »Wir sind immer im Recht! Es sind unsere neuen Schuhe!«
    Es ist etwas Wunderbares, in der Taiga einen Feiertag zu begehen. Vor allem, weil diese so selten sind. Da gibt es den Tag der Oktoberrevolution, an dem Gorski zu größter Form aufläuft und eine Rede hält, die er aus der PRAWDA abgeschrieben hat, dann den Geburtstag des jeweiligen Ministerratsvorsitzenden, den 1. Mai, den Tag von Väterchen Frost, das Neujahrsfest und natürlich Ostern, die große Nacht von Väterchen Wladimir, in der er Osterbrote und Osterkuchen segnet und als Pope auch seinen schönen Teil davon abbekommt.
    An andere Feiertage, abgesehen von familiären, kann man sich in Nowo Tschemka nicht erinnern. Doch ja … da war ein heimlicher Feiertag gewesen, den man dadurch motivierte, daß Sergej Pantalonowitsch Bronskij 101 Jahre alt geworden war. Es ging aber in Wahrheit um den Todestag Stalins. Überall wehten die Trauerflore. In der Stolowaja hingegen, dem Parteihaus, wurde getanzt, gesoffen, gesungen, und man bedachte Sergej Pantalonowitsch mit Sprüchen, obgleich er gar nicht dabei sein konnte. Er saß nämlich seit drei Jahren in einem von Wassja Lukanowitsch konstruierten Rollstuhl und war total verblödet.
    Aber jetzt, Genossen, gab es einen neuen Feiertag in Nowo Tschemka: Der Lastwagenzug mit den neuen Schuhen traf tatsächlich ein!
    Am Parteihaus wehte die lange rote Fahne. Väterchen Wladimir stand bereit, die Glocken zu läuten, wenn die Vorhut des Konvois das Gebiet des Städtchens betreten würde – man wollte dann eine Rakete in den Himmel schießen zum allgemeinen Aufruf: Jetzt jubelt,
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