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Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Wo gibt es neue Schuhe, Genossen

Titel: Wo gibt es neue Schuhe, Genossen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Vaterländischen Krieg eingezogen worden war. Weil seine Lunge angegriffen war, wie es damals hieß. Aber das war ja so lange her …
    »Keine Schuhe?« fragte Dr. Balujew dumpf.
    »Alles ist ungewiß.«
    »Aber es heißt doch, der Transport ist unterwegs.«
    Amossow nickte und holte aus der Brusttasche den mit der Post angekommenen Lieferschein.
    »Bitte, lesen Sie«, sagte er. Seine Hand zitterte, als er dem Arzt das Schreiben hinüberreichte. »Da steht es ganz klar: Voraussichtliche Lieferung usw. … Voraussichtlich! Wissen Sie, was das bei den Planungsstellen bedeutet?! Voraussichtlich ist soviel, als wollten Sie dem Vollmond den Herzschlag messen, Doktor …«
    Dr. Balujew las den Lieferschein, zerknüllte ihn und warf ihn gegen die Wand. Amossow nickte schwer.
    »Aber warum trompetet Gorski dann in die Luft, die neuen Schuhe seien unterwegs?« rief Rassul Germanowitsch. »Warum verspricht er mir ein Paar?! Er weiß sogar, woher sie unterwegs sind. Von Jenisseisk! Er kennt sogar die Fabrik! In Krasnojarsk!«
    »Das alles stimmt!« Amossow stöhnte laut. »Aber wenn etwas unklar ist wie diese neuen Schuhe, wenn keiner weiß, ob sie nun unterwegs sind oder nicht, wenn auf dem Lieferschein steht ›voraussichtlich‹, wenn also keiner mehr zuständig ist – dann heißt es immer: Sie sind unterwegs! Ich kenne das. Ich bin neunzehn Jahre lang Verwalter des Magazins. Später dann wird man erklären, irgendein Defekt habe alles verhindert!« Amossow verdrehte wieder die Augen. »Was soll man tun, Genosse Doktor? Wenn Wassja nichts erzählt hätte …«
    »Wenn du nichts Wassja erzählt hättest …«
    »So kann man es auch sagen.«
    »Juri Leonidowitsch, wenn die neuen Schuhe wirklich nicht ankommen …« Dr. Balujew zog die Luft durch die Nase. Es knirschte richtig.
    »Die ganze Stadt wird dich auf dem Marktplatz zerreißen, und keiner kann dir dann helfen!«
    »Ich bin nicht verantwortlich für die Schuhe und die Planwirtschaft!« schrie Amossow. »Helfen Sie mir, Doktor! Veranlassen Sie den Genossen Gorski, er soll wieder über Lautsprecher verkünden, die neuen Schuhe kämen vielleicht. Vielleicht! Darauf kommt es an!«
    »Gorski möchte noch lange leben«, sagte Dr. Balujew und trat an das Fenster. Nowo Tschemka war friedlich wie immer. Ein schöner Sommerabend voll Blumen- und Waldduft, der von der Taiga herüberwehte. Die Leute arbeiteten in ihren Gärtchen, der Pope ließ gerade die Abendglocke läuten, jeder war auf seine Weise glücklich mit der Freude im Herzen: Es gibt bald neue Schuhe, Genossen!
    »Man muß den Menschen ihren Glauben lassen!« sagte Dr. Balujew vom Fenster her. »Väterchen Wladimir verspricht ewige Seligkeit, aber garantieren kann er sie auch nicht. Warum soll eine staatliche Planungsstelle mehr können als ein Vertreter Gottes auf Erden?! Zweifelt denn einer an dem himmlischen Frieden, wenn Wladimir von ihm spricht? Na? Warten wir es also ab, Juri Leonidowitsch. Ich gebe dir eine Beruhigungsinjektion, du schläfst wie ein Bär, und morgen kann sich schon vieles geändert haben.«
    Amossow seufzte, ließ die Hosen runter, erhielt seine Injektion und wünschte sich, er könne danach eine Woche lang schlafen.
    Großmütterchen Valentina lag wieder vom Kopfhaar bis zu den Zehen versteift im Bett, als Dr. Balujew auch nach ihr schaute und sich auf die Bettkante setzte.
    »Du altes Luder bist heute aufgestanden!« sagte er. Solche Töne nahm ihm keiner mehr übel. Man betrachtete sie als herzerfrischend und zur Medizin gehörend.
    »Es gibt neue Schuhe, Genosse Rassul!« murmelte Valentina.
    »Du bist sogar herumgewandelt und hast Juri mit dem Stock bedroht! Seit vierzehn Wochen aber behandele ich dich, keinen Zeh kannst du mehr bewegen, und ich warte jede Stunde darauf, daß ich dir die Geieraugen zudrücken kann!«
    »Es gibt neue Schuhe!« antwortete die Uralte lauter und klarer.
    »Aber nicht mehr für dich!«
    »Für mich! Das wollen wir doch sehen, mein Söhnchen! Für mich sind ein Paar neue dabei, und ich laufe sie auch noch ein! So lange lebe ich noch! Deine Medizin kannst du dir selbst in den Hintern blasen!« Plötzlich rührte sie sich, die völlige Steifheit löste sich auf, und Valentina Mahmednowka klatschte in die knochigen Hände. Dr. Balujew war ebenso überrascht wie Amossow. Er packte ihren Arm, aber wupp – war er wieder steif, unbeweglich und leblos wie ein Stück Holz.
    »Mit den neuen Schuhen gehe ich zum Popen und zünde eine Kerze an«, sagte sie und starrte an
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