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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin
Autoren: Jonathan Saunders
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Vorwort
    Die Schlacht von Arderydd war verloren, grausam auch der letzte Kriegshaufen des Gwenddolau, Sohn des Ceidaw, durch Rhydderch Hael von Strathclyde dahingemetzelt. Der große König des Nordens lag erbarmungslos von den Christen erschlagen in den südlichen Ebenen des Coed Celyddon, des großen Waldes Nordbritanniens. Niemand da, der freiwillig durch seine nebelig-dunstigen Weiten gewandert wäre. Und doch stand Rhydderch mit blutverschmiertem Schwert und lief mit seinen Mannen über das rotgetränkte Schlachtfeld, um das Gesicht des großen, sehenden Freundes Gwenddolaus zu suchen, das Gesicht eines Zauberers, eines Propheten und Druiden, eines Bastards, Zauberpriesters und Hexers: das Gesicht Merlins. Soviel Erschlagene sie auch umdrehten und so entstellt die schauerlichen Gesichter der toten Krieger waren – Merlin fand man nicht.
    Rhydderch sammelte seine letzten Krieger und setzte Merlin in die Wälder Kaledoniens nach, jagte ihn tagelang in den naßkalt verästelten Öden des dunklen Dickichts, ohne je die geringste Spur von ihm zu finden. Die Suche war beschwerlich, der Wald in immer dichteren Feuchtnebel gehüllt und die Sonne ward nicht mehr gesehen.
    Nach Tagen stolpernden Irrens gab Rhydderch in dem Labyrinth der Bäume auf, da er Angst um seinen Verstand und den seiner Mannen hatte, und sie zogen sich aus dem unheimlichen Wald zurück. Er war sich sicher, daß niemand in dem Wald klaren Geistes sein und bleiben könne. Falls Merlin überhaupt überlebt habe, so nur wahnsinnig … Und diese und ähnliche Legenden trugen sie mit sich davon. Merlin sei wahnsinnig geworden … Er, der Trickser, sei geflohen und von den Totengeistern dahingerafft worden.
    Andere Menschen wollten ihn später gesehen haben. Manche sahen ihn vielerorts sterben – gesteinigt, erschlagen, ertrunken, gekreuzigt, verbrannt oder zu Fels geworden.
    Merlin jedoch hatte sich durch seinen magischen Schlachtnebel zum Hart Fell retten können. Er hatte sich auf einen unzugänglichen Schluchtenfelsen zurückgezogen und überdauerte die Jahrhunderte an seiner Wunderquelle in tiefer Trauer, manchmal in Umnachtung, sah das Weltgeschehen, sprach mit den Tieren seines Waldes, hatte Hörn, den treuen Hirschgefährten, zur Seite und ernährte sich von den Waldfrüchten des Coed Celyddon.
    Gemeinsam mit den Wikingern, die er eines Tages an der Ostküste Kaledoniens, dem heutigen Northumberland, landen sah, und Hörn zog er nach Norwegen, ein damals noch wildes, unbevölkertes Land. Er lehrte sie die Sternenkunde und verschwand dann auch für sie, die Qual der Welt vergessend und doch ihr Schicksal und Werden sehend.
    Auf Nordkvaloy, einer kleinen Insel im Nordmeer, schlug er sich eine Höhle in Felsen und lebte fortan dort mit dem Blick auf die mächtige See, in die Stürme des Nordatlantiks, auf die Jahreszeiten … und auf die Menschheit. Er sah sie sich entwickeln, hörte zuweilen ihren Lärm. Sprach mit der Anderswelt und seinem Hörn, erhielt Geschichten mit Bildern der Zeit – von Gegenwart und Vergangenheit – und wartete darauf, daß sich die geheimen Zeichen der Macht erfüllen mögen, Zeit zu Raum werde und er die Qual des Sehens verlieren würde, auf der Brücke in die Anderswelt … durch die Nebel aller Sterne.
    Und hier begann seine letzte Reise …

I
    Das Land war versunken im polaren Winter, vergessen von seinen Menschen, leblos in den langen Eisnächten schlafend. Dauernder Frost hatte seinen Atem über das Nordmeer geblasen und die See war starr und stumm zu Kristall geworden. Ein strahlender Nordsternenhimmel krönte die frierende Nacht, in der Ferne glitzernd sein Licht an die Küste tragend, von der sich schwarz die Silhouetten kleiner vorgelagerter Inseln abhoben. Dazwischen lagen die Wasser des Lyngenfjordes. Wie Gipfel über Wolkendecken ragten die Inseln, und hellblau leuchtete der Widerschein des Sichelmondes auf den schneebewehten Eisflächen. Schwarze Felsmassive zu allen Seiten, doch mit dem Blick auf das Eismeer sah man in der Ferne Arnoy, noch ferner Vanna und als letzten Blickpunkt am Horizont Nordkvaloy, das sich aus dem blau-silber schimmernden Hartteppich des Eises erhob, als kleine, westliche Felsmarke des Fjordes auf die See rufend, schweigend in der eisigen Nacht liegend.
    Das Gestein war zerklüftet, verwittert, zerrissen und nur ein Schatten im silbrigen Licht des Mondes, mit kleinen Anhöhen und einer über alle Höhen ragenden Felszacke. Spärlich moosige Pflanzen und Flechten der arktischen
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