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Myrddin

Myrddin

Titel: Myrddin
Autoren: Jonathan Saunders
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Jahrhunderten möglichst aus dem Weg. Dennoch gefiel auch ihm die Idee und die gute Stimmung Merlins ermunterte ihn.
    Der Seher saß mit seinen dicken Seerobbenfellstiefeln bequem auf Hörns breitem Rücken, der das Gewicht kaum spürte. Ein leichter Westwind wehte im dichten Schneetreiben, das die beiden wie ein Nebel verschlang. Merlin saß eingemummelt und begann, Lieder aus alter Zeit zu singen, die Ereignisse des Beltanefestes zum Inhalt hatten und an Jahre guter Ernten sowie an die tiefen Wälder Britanniens und Irlands erinnerten. Zu den alten Epen fand er immer neue Melodien, damit sie ihm niemals langweilig wurden, und darin war er, wie Hörn meinte, ein wahrer Meister. Merlin schaukelte hin und her, sang und pfiff und unterbrach nach einiger Zeit seinen lustigen Vortrag.
    „Hörn, weißt du, ich dachte mir, wir gehen heute auf eine richtige Kapertour. Was würdest du dazu sagen?“ meinte Merlin unvermittelt.
    Was würdest du dazu sagen, wurde von Merlin der Höflichkeit halber gefragt, wußte Hörn. Für den merkwürdigen Wicht auf seinem Rücken war es klar, was er zu tun allzeit zu tun gedachte, und er machte es weder abhängig von ihm, noch von der Jahreszeit, dem Wetter, ja … nicht einmal von der Großen Mutter selbst. Hörn hätte womöglich Bedenken äußern können, bevor sie losgezogen wären, und deshalb kam Merlin wahrscheinlich so überraschend für Hörn mit seinem Plan heraus, weil er ihn nicht besprechen und die Bedenken des Hirschs nicht hören wollte. Und was hätte Merlin schon zu einer anderen Meinung bewegen können? So geborene Entschlüsse schienen Hörn immer gefährlich unüberlegt, da er seine Aufgaben nicht kannte und sich innerlich nicht darauf vorbereiten konnte. Augenblicklich fühlte er das Elend seiner Freundschaft zu Merlin, die ihn wieder in Schwierigkeiten bringen konnte.
    „Kapern…? Was willst du kapern, Merlin?“ fragte er ängstlich, indem er sich bereits das Schlimmste vorstellte.
    „Ich denke, wir werden uns ein Boot kapern … wie der alte Sir Francis Drake … oder war es William Drake…?!“
    „Merlin, die Boote haben keine Segel mehr und sind aus Eisen. Ihre Borde sind haushoch … und sie sind viel zu schnell für uns. Sie machen einen Höllenlärm und haben viele Menschen als Besatzung. Und was willst du den Menschen sagen? Willst du dich vor dem baumgewaltigen Bug des Schiffes aufbauen, ernst dreinschauen und ihnen zurufen, daß du und dein Hirsch das Kommando über ihr Schiff nehmen? Merlin, hat dein Verstand gelitten, oder spielt dir deine Phantasie einen Streich? Außerdem fahren sie nicht in dieser Jahreszeit so dicht an der Küste. Schau doch: es ist alles vereist.“
    „Wenn das so ist …“, besann sich Merlin für Hörn zum Schein, „… dann müssen wir uns eben ein unbemanntes Boot kapern. Wie siehst du das? Hast du Vorschläge?“ Hörn fühlte sich veralbert und wußte nicht, was er sagen sollte. Sein Stolz war verletzt, da er sich ernsthafte Sorgen gemacht hatte. Sorgen um seinen irrwitzigen Freund. Deshalb schwieg er. Merlin besänftigte ihn, während sie über das Eis des Lyngenfjordes zogen, und erklärte sein Vorhaben.
    „Ich möchte mir ein kleines Ruderboot holen, Hörn …, so aus Holz, mit einem dieser modernen Motoren, die Schrauben bewegen können. Wahrscheinlich hat man sie alle aus dem Wasser geholt, bevor es vereiste, und irgendwo im Hafen aufgebockt. Nun … ich bin heute auf Beute aus. Laß uns also solch eine kleine Nußschale holen. Ich will mit dir in keine Schlacht ziehen, sondern nur von den Menschen etwas auf unbestimmte Zeit ausborgen.“
    „Aha. Und wie, denkst du, sollten wir vorgehen?“
    „Wenn wir dort angekommen sind, werde ich allein in das Hafenbecken laufen. Du bleibst weiter draußen auf dem Eis. Ich suche mir ein passendes Boot aus, schiebe es über das Eis zu dir und dann machen wir uns auf den Rückweg“, führte Merlin seinen Plan begeistert aus, über den er sich offenbar mehr Gedanken gemacht hatte, als Hörn ahnte. „Eine Leine werde ich dir um den Hals binden … und ab geht’s nach Hause.“
    Hörn hatte zwar immer noch seine Zweifel, doch das Wetter schien ihm vorzüglich für eine solche Dieberei geeignet. Dichter Schneefall – die Spuren wären also bald verweht oder verschneit. Und so sollte es dann sein, wie Merlin sagte. Würde das Vorhaben gelingen, wäre es anschließend nicht einmal erwähnenswert, bedauerte er, und es wäre nur einer von unzähligen Zeitvertreiben eines
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