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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient
Autoren: Alena Schroeder
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kriegen.
    Jetzt weiß ich, wie Frauen sich fühlen, wenn Babys grundlos schreien. Ich weiß, wie man in diesen Strudel aus Angst gerät und an sich zweifelt, weil man sein Kind einfach nicht beruhigen kann. Lehnt es mich ab? Mag es mich als Mutter nicht? Da ist es so wichtig, dass da jemand von außen den Druck rausnimmt. Viele Frauen sind wahnsinnig dankbar, wenn ich sie darauf anspreche und ihnen erzähle, wie es mir damals ging.
    Ich denke, es gibt für jeden Typ Frau die richtige Hebamme: Da gibt es die handfesten, die es wichtig finden, dass das Kind jeden Tag gebadet wird und dass alle Penaten-Produkte am Wickeltisch bereitstehen; die alles genau protokollieren, das Kind dreimal täglich wiegen und wissen, wo es gerade den besten Kinderwagen zu kaufen gibt. Und es gibt die Hebammen, die mit den schwangeren Frauen viel meditieren, damit sie schon mal Kontakt zu ihrem Baby im Bauch aufnehmen können. Ich komme am besten klar mit dem Typ dreiundvierzigjährige Akademikerin, die ihr erstes Kind bekommt, alles perfekt machen will und dabei völlig verkrampft. Da rollen andere Hebammen mit den Augen und sagen: »Oje, die ertrage ich nicht.«

    Manchmal tausche ich auch mit Kolleginnen, wenn ich spüre, dass ich mit einer Frau nicht gut auskommen werde. Was ich zum Beispiel nicht gut kann, sind Familien, in denen man auch gleichzeitig den Sozialarbeiter spielen muss und gar nicht weiß, welches Kind man zuerst retten will. Andere können das super und sehen da genau ihre Bestimmung, arbeiten dann zum Beispiel eng mit dem Jugendamt zusammen. Aber ich kann das nicht, dieses Bevormunden. Müttern erklären, dass man die Breitbandglotze nicht auf volle Lautstärke dreht, wenn das Baby direkt danebenliegt. Oder dass man am Wickeltisch nicht raucht.
    Manchmal habe ich so junge Frauen, Anfang zwanzig, die bekommen ihr fünftes Kind vom vierten Vater, sind allein und völlig überfordert. Die wissen dann nicht, wo sich ihr dreijähriger Sohn gerade aufhält, der spielt dann irgendwo unten allein auf der Straße. Und sie haben oft keine Ahnung von Verhütung, da verstaubt dann’ne Pillenpackung oben auf der Schrankwand, und die Frau sagt: »Ja, weiß nicht, soll ich die jetzt nehmen?« Und ich frage mich: Warum verschreibt der Frauenarzt der keine Spirale? Oder berät sie mal zum Thema Sterilisation? Das ist so ein Elend, und du weißt genau, nächstes Jahr kommt das nächste Kind. Zu sehen, was da alles schiefläuft, geht mir einfach zu nah.
    Das ist das Besondere, aber eben auch das Anstrengende an diesem Beruf: Als Hebamme sitze ich wirklich bei den Leuten auf der Bettkante und höre mir ihre intimsten Geschichten an. Manchmal gruselt es mich, wenn ich schon so Vorahnungen bekomme: Die Beziehung wird das
nicht aushalten. Die rennen doch direkt in die Katastrophe! Oder man bekommt plötzlich unterschwellige Mutter-Tochter-Konflikte präsentiert: Die Mutter will eigentlich helfen kommen nach der Geburt und sagt dann so Sätze wie: »Das arme Kind kann doch gar nicht satt werden, bei deinen kleinen Brüsten!«
    Manche Frauen sehen mich auch als Freundinnen- oder Partnerersatz und vereinnahmen mich total. Die denken, ich übernachte auch bei ihnen und gehe mit den Kinderwagen aussuchen. Man muss als Hebamme lernen, sich abzugrenzen und genau zu überlegen, wie weit man sich in die Gruben anderer Leben stellt und versucht auszugleichen. Fast alle Hebammen haben ein Helfersyndrom und opfern sich gern auf. Sie brennen für ihren Beruf und brennen deswegen auch häufig aus.
    Manchmal denke ich, ich habe den tollsten Job der Welt, weil ich eine so besondere Zeit im Leben anderer Menschen miterlebe, weil ich so oft »Danke« höre und meistens so willkommen bin. Und an anderen Tagen frage ich mich, ob es nicht auch etwas anderes hätte sein können. Vor der Ausbildung hatte ich angefangen, Medizin zu studieren. Vielleicht hätte ich das weitermachen sollen? Vielleicht habe ich auch ein bisschen Potenzial verschenkt. Als Hebamme kann ich nicht mehr aufsteigen, da habe ich alles gemacht und erreicht, was man in diesem Beruf erreichen kann.
    Ein Traum von mir wäre es, Dokumentarfilme zu machen. Gar nicht groß durch die Welt reisen, sondern das kleine Glück und das große Elend hier vor der Haustür
einfangen. Am liebsten würde ich einen Film darüber drehen, wie Paare mir die Geburt ihres Kindes erzählen. Da
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