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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient
Autoren: Alena Schroeder
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der Ecke mit einem Mülleimer in der Hand und habe gestaunt. Zu sehen, wie ein Kind auf die Welt kommt, wie es seinen ersten Atemzug macht, ist für mich jedes Mal wieder eine spirituelle Erfahrung.
    Die Arbeit im Krankenhaus ist wahnsinnig anstrengend. Man weiß einfach nie, was einen erwartet, wenn man durch die Tür kommt. Sitzen wir heute nur rum und stricken, oder bekommen vielleicht heute sieben Frauen gleichzeitig ihre Kinder? Das sind jede Menge Adrenalinstöße, im Kreißsaal ist alles möglich. Man weiß nie, wann Feierabend ist. Und wenn richtig viel los ist, müssen sogar die Hebammenschülerinnen fast vollwertig mitarbeiten. Zum Beispiel eine Frau beim Pressen ein bisschen zurückhalten, weil die richtige Hebamme noch nebenan ein anderes Kind holen muss.

    Man braucht ein paar Jahre, bis man dieses ganze Puzzle »Geburt« wirklich durchschaut hat, manches bleibt einfach ein Mysterium. Deshalb wird mein Respekt vor Geburten eigentlich immer größer, weil ich schon so oft Dinge erlebt habe, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Wenn eine Frau plötzlich anfängt zu bluten, und man bekommt das nicht in den Griff, obwohl vorher alles so toll gelaufen war. Oder wenn ein Kind nach einer perfekten Geburt und unter andauernder Herztonüberwachung einfach nicht atmet, reanimiert werden muss und vielleicht sogar stirbt. Und auch, wenn man es anschließend untersucht, findet man dann nicht unbedingt einen Grund dafür, warum das jetzt so furchtbar schiefgelaufen ist.
    Ich habe schon erfahrene Chefärzte weinen sehen, einfach, weil man es nicht versteht. Das ist für mich das Besondere an der Geburtshilfe: Man darf sich nie zu weit aus dem Fenster lehnen. Ärzte und Hebammen, die behaupten, alles hundertprozentig im Griff zu haben, sind mir suspekt.
    Ich fand meine Ausbildung in der Klinik nicht wirklich befriedigend. Wir wurden kaum richtig angeleitet, das Tollste für uns Schülerinnen war, wenn man den Dammschutz übernehmen durfte. Also wenn das Köpfchen kommt, aufpassen, dass bei der Frau nichts reißt. Wenn man das gut gemacht hatte, waren das hundert Gummipunkte, und man durfte stolz sein. Aber mit der Geburt allein ist es ja nicht getan, ich wollte mehr über diesen ganzen Prozess lernen und eine Frau einmal wirklich
durch die gesamte Zeit von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett betreuen.
    Ich bin dann für ein Jahr nach Holland gegangen, wo die Frauen in der Regel ihre Kinder zu Hause bekommen. Dort haben Hebammen noch einen ganz anderen Status. Ich habe bei einer Hebamme hospitiert, die war eine Institution in ihrer Gegend. Sie war dreiundsechzig, kurz vor der Rente und hatte über achttausend Geburten begleitet, fast alle außerklinisch. Sie hatte eine wahnsinnig fürsorgliche und starke Ausstrahlung, man konnte richtig sehen, wie sich die Frauen in ihrer Gegenwart entspannten und sich in ihre Obhut begeben haben. Es war fast eine Ehre, ein Kind bei ihr zu bekommen.
    Von ihr habe ich sehr viel gelernt, vor allem die Zuversicht: Das Kind kommt, es wird alles gut. Ich unterstütze die Frauen dabei, guter Hoffnung sein zu dürfen - diesen Ausdruck finde ich sehr passend. Von dieser Hebamme habe ich auch gelernt, besser annehmen zu können, wenn eine Geburt einmal nicht gut ausgeht. Zu akzeptieren, dass ich nicht alles in der Hand habe.
    Ich hatte mal einen Fall, der mir noch sehr lange naheging. Da habe ich eine Frau und ihr Kind im Wochenbett betreut, und irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl. Ich konnte es nicht wirklich an etwas festmachen, aber ich habe gefühlt, dass dieses Kind noch nicht richtig in der Welt angekommen ist, obwohl körperlich alles in Ordnung war. Ich habe dann den Kinderarzt der Frau angerufen und ihn gebeten, sich das Baby doch noch mal anzuschauen. Zum Glück hat der das ernst genommen, es
gibt viele, die denken: Ach, wieder so’ne Räucherstäbchen-Hebamme mit einem komischen Gefühl! Er hat das Kind noch einmal genau untersucht - und nichts gefunden. Am nächsten Tag war es tot, drei Tage nach der Geburt.
    Ich musste dann dorthin und die Eltern betreuen, das war furchtbar. So was lernt man natürlich auch nicht in der Ausbildung: den Eltern in so einem Moment eine Stütze sein und selbst den eigenen Schock verarbeiten. Die Kriminalpolizei war auch da, sie ließ das Baby untersuchen, um die Todesursache festzustellen. Die Frau saß weinend im Wohnzimmer, der Mann
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