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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient
Autoren: Alena Schroeder
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hatte sich im Bad eingeschlossen. Ich habe ihn dann immerhin dazu gebracht, sich zu seiner Frau zu setzen, damit die beiden wenigstens gemeinsam weinen. Und dann bin ich vor die Tür und habe die Großeltern in Empfang genommen. Die waren nämlich mit einem Auto voller Geschenke angereist, um ihr frischgebackenes Enkelkind zu bestaunen, und wussten noch gar nichts, weil sie kein Handy hatten.
    Mein Gott, wie sagt man so was dann? Die Kripobeamtin meinte, ich solle einfach ruhig und sachlich erzählen, was passiert ist. Und vor allem: keine dramatischen Pausen machen. Dann fangen die nämlich an, sich was auszumalen und durchzudrehen, man muss einfach weiterreden, ohne ihnen die Gelegenheit zu geben, ihr eigenes Kopfkino anzuwerfen.
    Ich denke, alles in allem habe ich das ganz gut hingekriegt, auch wenn ich nicht beurteilen kann, ob ich den Eltern in ihrer Trauer wirklich helfen konnte. Aber ich
habe auch etwas gelernt dabei: Ich habe eine Intuition, auf die ich mich verlassen kann. Ich habe Antennen, die etwas aufnehmen, was nicht messbar ist. Das ist beruhigend. Es gibt eben doch so etwas wie die alte Hebammenkunst, für die man eine gewisse Erfahrung braucht.
    Viele Jahre lang habe ich hauptsächlich Hausgeburten betreut. Das war eine tolle, aber auch sehr belastende Zeit. Sachen, die für andere ganz selbstverständlich waren, habe ich mir nicht erlaubt. Bin lieber nicht ins Kino, wenn eine Frau schon drei Tage überfällig war. Oder ich habe lieber nichts getrunken, weil ich dachte, wer weiß, ob ich später noch irgendwohin muss. Spontan mal wegfahren ging gar nicht. Ich musste ständig erreichbar sein.
    Lange Zeit habe ich mir das schöngeredet, es ist schließlich eine unglaubliche Erfahrung, wenn ein Kind geboren wird. Ich dachte: Das gibt mir so viel, das will ich nicht aufgeben. Aber irgendwann war die Belastung einfach größer als die Freude, ich hatte zum Beispiel viel zu wenig Zeit für meine Tochter. Ich konnte ihr nichts versprechen, konnte immer nur sagen: » Vielleicht gehen wir am Wochenende in die Schwimmhalle. Aber wenn das Baby kommt, müssen wir das verschieben.« Das hat meine Tochter irgendwann nicht mehr hören wollen. Ich habe auch von ihrem Vater immer viel Verständnis erwartet. Schließlich muss doch jeder verstehen, dass man alles stehen und liegen lässt, wenn ein Kind geboren wird. Da habe ich beiden sicher sehr viel abverlangt.
    Vor einem Jahr habe ich dann aufgehört mit der Geburtsbetreuung, und jetzt mache ich nur noch Nachsorge.
Für Kolleginnen klingt das oft wie ein Abstieg. »Was? Die macht nur noch Nachsorge? Traut sie sich nicht mehr?« Vielen kommt das vor wie Drecksarbeit. Früher habe ich auch so gedacht: Wenn ich keine Geburten mache, bin ich keine richtige Hebamme. Dabei ist die Nachsorge fast das Wichtigste! Wenn das Wochenbett vorbei ist, fängt der Alltag ja erst richtig an. Die Mütter gehen am Stock, kommen nicht zum Essen, schlafen kaum. Viele leiden total unter der Präsenz ihres Kindes und haben plötzlich das Gefühl, den schlimmsten Fehler ihres Lebens gemacht zu haben.
    Man sieht, wie Partner sich entfernen, nicht, weil sie sich nicht lieben, sondern weil sie keinen Weg finden, diesen Stress gemeinsam zu meistern. Da sitzen dann Paare mit viel Geld in perfekt eingerichteten Wohnungen und können mit ihrem Wunschkind einfach nicht glücklich sein. Dann da zu sein und diesen Eltern beizustehen, finde ich wahnsinnig wichtig.
    Früher war ich ganz froh, wenn ich diese ersten Wochen mit dem neuen Kind nicht so mitbekommen habe. Die Geburten haben für mich so viel Raum eingenommen, dass ich es einfach zermürbend fand, immer wieder wegen Stillproblemen angerufen zu werden, während ich mehrere Frauen in den Wehen koordinieren musste. Ich musste einfach Prioritäten setzen, und die Wöchnerinnen kamen da immer zu kurz.
    Wenn ich selbst kein Kind hätte, würde ich vielleicht immer noch so arbeiten. Diese Erfahrung am eigenen Leib war ganz wichtig: Meine Hebamme war eben auch nach
zwei Wochen weg, und ich wäre auch nicht auf die Idee gekommen, die noch mal anzurufen. Das Kind hat tagsüber stundenlang geschrien, nachts nicht geschlafen und später schlecht gegessen. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Als Hebamme hatte ich totale Hemmungen, mir Hilfe zu holen. Ich dachte: Was denken die von mir, ich bin doch Fachfrau, muss das doch allein in den Griff
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