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Wir schaffen es gemeinsam

Wir schaffen es gemeinsam

Titel: Wir schaffen es gemeinsam
Autoren: Berte Bratt
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geworden, leidenschaftlich – jetzt brach sie ganz plötzlich ab und sagte kein Wort mehr.
    „Ich verstehe dich gut“, sagte ich. Und kurz darauf kam ein Gutenacht vom andern Ende des Ateliers – leise und warm, mit Yvonnes alltäglicher Stimme.
    Meine Hand machte Fortschritte. Aber leider nur sehr langsam. Ich ging hin und wieder zum Arzt, um mich zu zeigen. „Vorläufig nicht arbeiten“, sagte er. „Vielleicht in etwa vierzehn Tagen.“ Der Schnitt war tief, es hatte sich Eiter gebildet, und alles war wirklich scheußlich. Fieber hatte ich auch gehabt, aber das wenigstens war wieder vorüber.
    Unterdessen verstrich die Zeit – das kostbare Frühjahr, das meine allerbeste Arbeitszeit hätte sein sollen. Es dauerte nicht mehr lange, und dann würde es für dieses Jahr zu spät sein, Blumen umzutopfen und Stecklinge zu setzen.
    Na ja – noch war es Frühling. Aber Ostern stand vor der Tür, und das bedeutete wieder eine ganze Woche Arbeitsausfall.
    Oh, wie waren die Tage lang! Lang und kalt. Denn es war trübes Wetter, und dann war es bei uns unerträglich kalt. Nur wenn die Sonne durch das große Dachfenster fiel, hatten wir es warm.
    Yvonne trug eine Strickjacke unter dem Malkittel und Filzpantoffeln an den Beinen. Sie arbeitete verbissen und schweigsam. Sie hatte wenigstens ein kostenloses Modell – sie malte mich im Sessel, in eine dicke Wolldecke gewickelt. Es war keineswegs gestellt. Ich hatte mich eines Tages so hingekauert, und da hatte Yvonne gestanden und mich unentwegt angestarrt. Nach einer Weile war sie näher gekommen und hatte den Sessel ein bißchen gerückt – die Malsachen hervorgeholt und angefangen. Als ich aufstehen wollte, rief sie nur: „Bleib so sitzen!“ Die gesunde Hand wurde blau vor Kälte. Die kranke lag gut und warm in ihrem Verband.
    Yvonne malte.
    Sie vergaß die Mahlzeiten, sie vergaß alles; wenn ich etwas fragte, gab sie keine Antwort. Und ich saß und starrte sie an und erkannte, was sie in den mühseligen Jahren im Ausland und auch später über Wasser gehalten und was sie getrieben hatte. Ich sah das magere, gespannte Gesicht, die dünnen Finger, die den Pinsel hielten, das glatte schwarze Haar, das sie ab und zu mit dem Handrücken aus der Stirn strich.
    So sollten sie sie einmal sehen, alle die, die über ihre Zeichnungen zu Gericht saßen und sie dann ablehnten. Die ihre Bilder betrachteten und sie „hübsch“ fanden, aber lieber Drucke von bekannten Größen kauften… Vielleicht würden sie dann verstehen, daß die „hübschen“ Bilder von einer wirklichen Künstlerin gemalt waren, von einer, die ihre ganze gequälte Seele in die Arbeit legte.
    Erst wenn es anfing, dunkel zu werden, legte sie den Pinsel aus der Hand und suchte etwas zu essen hervor.
    Wir lebten so spartanisch, wie ich mir’s nie hätte träumen lassen. Yvonne schien es überhaupt nicht anzufechten. Aber ich lief mit ständigem Hungergefühl herum.
    Und das, obwohl es uns gelungen war, meine Armbanduhr, den Ring meiner Mutter und das bißchen Silber, das ich von meinen Eltern geerbt hatte, aufzuessen. In der Kommodenschublade lagen jetzt nur die Leihhausscheine. Die Summe, die wir brauchten, um die Sachen wieder auszulösen, schwoll immer mehr an.
    „Ein wahres Glück, daß wir nur so wenig dafür kriegen“, versuchte ich eines Tages die Sache mit einem Witz abzutun. „Dann ist es nicht ganz so schwierig, alles wieder einzulösen.“
    „Warte ab, bis du erst damit anfängst“, sagte Yvonne. Dann schwieg sie wieder.
    Der Tag kam, da wir nichts Eßbares mehr im Hause hatten.
    Das letzte Brot aßen wir morgens zum Frühstück. Nun war Schluß.
    Ich könnte dies in allen Einzelheiten schildern. Ich könnte erzählen, was es für ein Gefühl war, könnte die Bitterkeit schildern, den Kummer und dergleichen mehr. Aber das schlimmste von allem war, daß die Empfindlichkeit und der Hunger Hand in Hand mit der Scham gingen. Darum habe ich eine Scheu, näher darauf einzugehen.
    Als ich klein war, betete meine Mutter abends mit mir. Ich habe es seither immer getan – ohne eigentlich viel darüber nachzudenken. Ja, ich muß gestehen, daß ich mich einfach ab und zu an den lieben Gott wende, wenn das Leben einmal gar zu schwierig ist. Mehr oder weniger mechanisch sage ich ganz für mich allein „Lieber Gott, sei so gut und hilf mir…“, und da gibt es immer eine ganze Menge, wobei ich meiner Meinung nach der Hilfe bedarf.
    Gerade an diesem Tag wurde es mir plötzlich bewußt, daß ich dasaß und
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