Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir schaffen es gemeinsam

Wir schaffen es gemeinsam

Titel: Wir schaffen es gemeinsam
Autoren: Berte Bratt
Vom Netzwerk:
Krankenhaus, in die Ambulanz, und lassen sich das schneiden. Sie kriegen eine kleine Betäubung, die wird schon nötig sein.“
    Mir wurde schwarz vor den Augen – Krankenhaus – Betäubung – Arztkosten – nein, das konnten wir uns nicht leisten! Ich war ja nicht in der Krankenkasse!
    „Weshalb können Sie es nicht gleich hier machen, Herr Doktor?“
    „Das kann ich natürlich. Aber es wird weh tun.“
    „Ach…“, sagte ich nur. Ich bin immer ein fürchterlicher Angsthase gewesen, wenn es galt, Schmerzen auszuhalten. Yvonne mischte sich jetzt ein.
    „Ja, danke, Herr Doktor, ich werde meine Freundin wegbringen. Sie muß sich nur eben anziehen.“
    „In Ordnung. Ich rufe das Krankenhaus an und sage Bescheid, daß Sie kommen. In einer Stunde – ist das recht?“
    Yvonne half mir beim Anziehen. Wir sagten beide kein Wort.
    „Findest du mich sehr feige?“ fragte ich schließlich, als das Schweigen zu drückend wurde.
    „Aber nicht doch, meine Gute.“ Wieder Schweigen. Yvonne band mir die Schnürsenkel zu.
    „Yvonne! Was würdest du an meiner Stelle getan haben?“
    „Ich weiß nicht.“
    „Bist du jemals in so einer Lage gewesen?“
    „Mit Blutvergiftung nicht.“
    „Was denn?“
    „Ach – ich hatte nur mal in Paris eine sehr gräßliche Zahngeschichte.“
    „War es schlimm?“
    „Ja, ich mußte nämlich zu so ‘nem billigen Zahnarzt gehen.“
    „Hat er ihn gezogen?“
    Yvonne lächelte: „Du müßtest lieber fragen: Hat er ihn rausgebrochen?“
    „Ohne Betäubung?“
    „Ja. Steh jetzt auf, dann helfe ich dir in den Mantel.“ Ich hatte wahnsinnige Angst. Aber ich dachte an Yvonnes Zahnziehen, und ich krampfte die Hände zusammen und versuchte, tapfer zu sein, als ich sagte: „Yvonne. Ich gehe rüber zum Arzt. Er kann es in der Praxis machen.“ Yvonne sah mich kurz an.
    „Schön. Du bist tapfer“, sagte sie nur. „Ich komme mit.“ Sie legte ihren Arm um mich, und wir zogen ab.
    Nein, ich war nicht tapfer. Ich schrie laut, als ich das Messer an meiner Haut spürte. Und – ja, ich schäme mich in Grund und Boden, aber es tat so unbeschreiblich weh – ich glaube, ich schrie irgendwas, daß ich doch lieber ins Krankenhaus wolle. Aber dann war es auch schon vorbei. Leichte, geübte Hände machten einen Verband, und Yvonne ließ mich los. Erst jetzt merkte ich, daß sie mich die ganze Zeit mit beiden Armen festgehalten hatte. Dann hob sie ihre Hand und wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn.
    Nun hörte ich auch die Stimme des Arztes.
    „So, es ist schon vorüber. Nun dürfen Sie die Hand aber eine Woche lang nicht gebrauchen. Kommen Sie übermorgen zur Nachuntersuchung.
    Da lag ich nun. Yvonne ging in einem frischgewaschenen Malkittel herum und räumte auf und machte sauber. Sie kochte Tee für mich und strich Butterbrote. Sie sagte nicht viel. Aber die Furche zwischen ihren Augenbrauen deutete daraufhin, daß sie über etwas nachdachte.
    Ich konnte mir schon denken, was es war. Ich wußte, daß das Geld für die Zeichenstunden ausgegeben war, und vor dem nächsten Monat waren weitere Einnahmen nicht zu erwarten. Gestern war ein großer Brief an sie gekommen. „Großer Brief“ und „kleiner Brief“ war Yvonnes Jargon. Großer Brief bedeutete einen großen Briefumschlag mit einer zurückgesandten Zeichnung. Kleiner Brief war ein kurzes Schreiben mit der Nachricht, daß eine Zeichnung angenommen sei.
    „Du mußt mein Sparkassenbuch nehmen und Geld abheben, Yvonne. Das hilft nun alles nichts. Ich kann dir nicht eine ganze Woche lang auf der Tasche liegen.“
    Sie murmelte etwas vor sich hin. Die Worte verstand ich nicht, konnte mir aber den Sinn denken. – In ihrer Kasse war augenblicklich völlig Ebbe.
    Die Zeit, die jetzt folgte, steht in meiner Erinnerung wie ein einziger Alptraum.
    Der Monat war zu Ende. Wir mußten für die Miete Geld von der Bank abheben.
    Yvonne zeichnete und zeichnete. Sie ging in die Stadt, kam zurück mit der Zeichnung in der Mappe und einem schmalen, blassen und entmutigten Gesicht. Ganz selten einmal brachte sie dreißig bis vierzig Kronen mit nach Haus. Es war unglaublich, wie lang dreißig Kronen reichen, wenn man vorsichtig damit umgeht und auf alles verzichtet, was nicht unbedingt notwendig ist. Sie gab ihre Stunden, kam nach Haus, besorgte den Haushalt, ging wieder fort.
    Wir sprachen wenig.
    Eines Tages ging es nicht mehr weiter. Ich konnte ihr ansehen, daß es jetzt ganz schlimm war, faßte mir ein Herz und sprach mich offen mit ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher