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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet
Autoren: Tom Holt
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ist. Meinen Segen haben Sie.« Ingolf hielt inne und rang nach Atem. Dann fuhr er fort: »Um unerschöpflichen Reichtum zu erlangen, müssen Sie den Ring nur anhauchen und sich damit leicht über die Stirn reiben. Los, versuchen Sie’s mal.«
    Ingolf zog den schlichten Goldring vom Finger und übergab ihn Malcolm, der ihn entgegennahm, als würde man ihm auf einem Botschafterempfang eine Delikatesse reichen, die aus irgendwelchen ekelhaften Körperteilen einer seltenen Amphibie angerichtet worden war. Dann handelte er nach Ingolfs Anweisung und fand sich kurz darauf knietief in Gold wieder. Goldbecher, Goldteller, Goldbroschen, Haarnadeln, Armreife, Fußringe, Brustschmuck, Fläschchen und Saucieren.
    »Überzeugt?« erkundigte sich Ingolf. »Oder wollen Sie sich lieber erst das Sachverständigengutachten eines Metallurgen einholen?«
    »Nein, nein, ich glaube Ihnen auch so«, stammelte Malcolm, der allerdings fest davon überzeugt war, einen Traum zu erleben, und sich schwor, abends keinen Schimmelkäse mehr zu essen.
    »Lassen Sie die Sachen einfach liegen. Dort, wo das Zeugs herkommt, gibt’s noch eine ganze Menge davon«, klärte Ingolf ihn auf. »Die Nibelungen stellen sie in den tiefsten Höhlen von Nibelheim her, dem Königreich der Zwerge. Man wird sich dort freuen, auf diese Weise im Lager etwas Platz schaffen zu können.«
    »Und dieser Tarnhelm … funktioniert der auch?«
    Ingolf schien plötzlich die Geduld zu verlieren und brüllte: »Natürlich funktioniert der auch! Am besten setzen Sie ihn einfach auf und verwandeln sich endlich in ein menschliches Wesen!«
    »Tut mir leid, aber das alles ist für mich ein ziemlicher Schock«, entschuldigte sich Malcolm.
    Ingolf winkte ab und sagte: »Jetzt müssen Sie mir noch in den Arm stechen und mir dann etwas Blut ablecken.«
    »Das werde ich ganz bestimmt nicht tun«, entgegnete Malcolm entsetzt.
    »Aber wenn Sie das tun, verstehen Sie sogar die Sprache der Vögel.«
    »Mir liegt nicht das geringste daran, die Sprache der Vögel zu verstehen«, widersetzte sich Malcolm.
    »Hören Sie, mein Junge, wenn Sie erst mal die Sprache der Vögel verstehen, werden Sie auch Gefallen daran finden«, beharrte Ingolf mit strenger Stimme. »Und jetzt machen Sie schon. Nehmen Sie dazu die Nadel an einer dieser Broschen hier.«
    Das Blut schmeckte faulig und brannte entsetzlich in der Kehle. Für einen kurzen Augenblick trübte sich Malcolms Verstand, dann hörte er erneut in der Ferne die Eule rufen und bemerkte zu seiner Verwunderung, daß er sie verstehen konnte – wobei das, was sie sagte, natürlich völlig uninteressant war.
    »Tatsächlich, jetzt kann ich die Vögel verstehen«, staunte Malcolm. »Danke.«
    »Das wäre damit also auch erledigt«, stöhnte der Riese. »Ich trete gleich meine letzte Reise an. Stapeln Sie jetzt bitte das Gold rings um meinen Kopf. Ich muß es nämlich mitnehmen, um den Fährmann zu bezahlen.«
    »Ich habe immer gedacht, das kostet allenfalls ein paar Penny oder so.«
    »Sie vergessen die Inflation. Außerdem nehme ich im Boot relativ viel Platz ein.« Ingolf blickte mißmutig drein und grummelte: »Nun machen Sie schon! Oder brauchen Sie erst eine schriftliche Einladung?«
    Malcolm tat, wie ihm befohlen; schließlich schien es sich nicht um echtes Gold zu handeln. Oder etwa doch?
    »Und jetzt hören Sie mir aufmerksam zu«, fuhr Ingolf fort. »Ich sterbe gleich. Sobald ich tot bin, wird mein Körper in jenen lebenden Felsblock zurückkehren, aus dem Gott Ymir am Anfang der Welt die Frost- und Reifriesen geformt hat. Tausend Jahre wird hier nichts mehr wachsen, und sobald Pferde an dieser Stelle vorbeikommen, werden sie ihre Reiter abwerfen. Wirklich bedauerlich, zumal es sich um eine Hauptstraße handelt. Noch etwas: An jedem Jahrestag meines Todes wird frisches Blut aus dem Erdreich dringen, und in der Nacht werden unheimliche Schreie zu hören sein. Das ist das Schicksal des Ringträgers, wenn sein Leben ein Ende gefunden hat. Seien Sie vorsichtig, Malcolm Fisher! Auf dem Ring der Nibelungen liegt ein Fluch – Alberichs Fluch, der jedem, der den Ring trägt, auf tragische Weise vorzeitig den Tod bringt. Doch ist vom Schicksal bestimmt, daß zum Ende des mittleren Weltzeitalters ein gottähnlicher junger Tor, der die Eigenart des Rings nicht versteht, die Macht von Alberichs Fluch brechen und somit die Welt erlösen wird. Danach wird das letzte Weltzeitalter anbrechen, die Götter werden für immer verschwunden sein, und alles wird
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