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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet
Autoren: Tom Holt
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aber niemand wollte auf mich hören –, und die Rheintöchter ziehen Hagen in die Tiefe und ertränken ihn. Aus einem völlig unerfindlichen Grund fängt der Saal Walhallas Feuer. Effektvoll inszeniertes Gruppenbild. Ende.« Ingolf wollte kichern, brachte aber aufgrund der eingequetschten Lunge nur ein heiseres Röcheln zustande. »Allerdings haben diese blöden Rheinweiber den Ring fallen lassen, als sie Hagen ins Wasser zogen. Und jetzt raten Sie mal, wer nur ein paar Meter entfernt war und sich, soweit ich mich erinnere, an einem umgestürzten Baum festklammerte? Ich. Ingolf. Ingolf der Verwahrloste. Ingolf der Geduldige. Ingolf, Erbe des Rings! Also schnappte ich ihn mir, habe danach die Tarnkappe aus der Asche des Scheiterhaufens gezogen und mich schließlich im Durcheinander davongemacht, und zwar hierher, ins Tal von Taunton Deane, den letzten Landstrich, den Gott erschaffen hat. Aber das tut jetzt nichts zur Sache.«
    »Das klingt wirklich faszinierend«, staunte Malcolm. »Allerdings erklärt das nicht, warum Sie eben noch ein Dachs waren und mittlerweile keiner mehr sind.«
    »Ach, wirklich nicht?« stöhnte Ingolf erneut auf. »Der Tarnhelm ist eine magische Kappe, gefertigt von Mime, dem größten Schmied aller Zeiten. Wer diesen Helm trägt, kann jede gewünschte Form oder Gestalt annehmen, lebendig oder leblos, Mensch, Vogel, Fisch oder Vierbeiner, Fels, Baum oder Blume. Er kann sich aber auch unsichtbar machen und sich im Nu von einem Ende der Welt zum anderen befördern lassen, und das allein durch Denken. Und dieser Idiot, der jetzt hier vor Ihnen liegt, hatte sich gedacht: Wer sucht schon nach einem Dachs? Also habe ich mich in einen Dachs verwandelt und mich in diese gottverlassene Gegend zurückgezogen, um mich zu verstecken.«
    »Aber warum?«
    »Weil diese Gegend wirklich gottverlassen ist und ich von den Göttern allmählich die Nase voll hatte. Die sind hinter mir hergewesen, müssen Sie wissen, und das sind sie sogar auch heute noch. Auch die Völsungen. Und die Rheintöchter. Und Alberich. Dieses ganze verdammte Pack. Leicht war das nicht, das kann ich Ihnen sagen! Glücklicherweise sind alle so unglaublich blöd, daß sie die letzten tausend Jahre damit verbracht haben, zu Wasser und zu Lande nach einem dreißig Meter großen Drachen mit einem gewaltigen Schwanz und Zähnen wie Druidensteinen zu suchen. Und das alles nur, weil mein Bruder Fafner – auf seine Art eigentlich ein ganz netter Kerl, aber etwas phantasielos – sich als Drache verkleidete, als er dieses verdammte Ding in den Händen hielt. Ich hätte ihm gleich sagen können, daß ein dreißig Meter großer Drache alles andere als unauffällig ist, selbst am Arsch der Welt, aber warum sollte ich ihm helfen? Jedenfalls habe ich mich wohlweislich in einen Dachs verwandelt und damit alle an der Nase herumgeführt.«
    »Moment mal!« warf Malcolm ein. »Ehrlich gesagt bin ich ein bißchen verwirrt. Warum mußten Sie sich überhaupt verstecken?«
    »Weil die auf den Ring scharf waren und immer noch sind!« entgegnete Ingolf ungeduldig.
    »Und warum haben Sie denen – egal, um wen es sich handelt – den Ring nicht gegeben und sich so die ganzen Scherereien erspart?«
    »Wer auch immer diesen Ring besitzt, ist Herrscher über die ganze Welt«, antwortete Ingolf mit ernster Stimme.
    »Mhm … dann sind Sie …«
    »Und ich kann Ihnen sagen, das hat mir eine Menge Probleme eingebrockt. Nebenbei bemerkt: Wer, glauben Sie eigentlich, beherrscht die Welt? Diese bescheuerten Vereinten Nationen etwa?«
    »Ehrlich gesagt, habe ich darüber noch nie richtig nachgedacht. Aber wenn Sie die Welt beherrschen, dann …«
    »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Sie fragen sich, wenn ich die Welt beherrsche, warum ich mich dann, als Dachs verkleidet, in einem Wäldchen in Somerset verstecke, nicht wahr?«
    »So ungefähr jedenfalls«, stimmte Malcolm ihm zu.
    »Mit einer Krone auf dem Haupte ruht es sich schlecht«, bemerkte der Riese weise. »Wenn ich zurückblicke, frage ich mich natürlich manchmal, ob es das alles wert war. Aber Sie werden bestimmt aus meinen Fehlern lernen.«
    Malcolm zog die Augenbrauen zusammen. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie mir diese Sachen alle überlassen? Den Ring und diesen – wie haben Sie das Ding noch mal genannt?«
    »Tarnhelm. Warum man das Ding als Helm bezeichnet, obwohl es sich dabei lediglich um ein kleines Drahtgeflecht handelt, kann ich Ihnen nicht sagen. Nehmen Sie es jedenfalls für das, was es wirklich
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