Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
Vom Netzwerk:
haben, um zu wissen, dass man mit so einer Abwehrhaltung allerdings auch nicht wirklich weit kommt. Natürlich wissen wir das auch. Wie das Zauberwort heißt, steht schließlich in jeder Frauenzeitschrift:
Thematisierung
. Nur wenn man immer schön
thematisiert,
also offen über etwas spricht, weiß man, was mit einem los ist. Und was man dagegen tun kann. Einsicht ist der erste Schritt zur Heilung. Wissen wir alles. Und stimmt ja auch sicher. Bislang haben wir uns halt eben einfach nur nicht getraut.
    Aber vielleicht sollten wir uns ja wirklich einmal zusammensetzen. Jetzt ernsthaft. Und zwar alle zusammen, zu einer großen Gruppentherapie. Um endlich einmal richtig schön alles zu thematisieren. Um dorthin zu schauen, wo es am lautesten rauscht. Dorthin, wo es am meisten weh tut. Damit wir endlich wissen, was mit uns los ist. Zu verlieren haben wir ja eigentlich nichts.
    Außer vielleicht unserer Angst.

Arbeit:
Die Angst vor dem Fall
    Ich habe heute leider kein Foto für dich
    Heidi Klum
    Willkommen in unserer Show. Willkommen beim größten Casting, das die Welt je gesehen hat. Willkommen zum irrsten Format ever. Willkommen zu der Sendung, die alles toppt, was an Reality- TV bisher ging. Willkommen zu Germany's Next Selbstverwirklicher. So heißt unser geiles Quiz. Das Geile daran: Es läuft unser ganzes Leben. Live und in Farbe. Und das Allergeilste daran: Wir sind nicht nur die Kandidaten. Wir sind auch die Jury. Wir sind Heidi. Wir sind Dieter. Wir sind es, die die Fotos vergeben. Wir sind es, die die Recall-Zettel verteilen. Nur dass wir dabei sogar noch viel fieser gucken und sogar noch gemeinere Sprüche als die Originale reißen. Beim Casting, bei dem wir nach uns selbst suchen, sind wir hammerhart zu uns. Denn wir wollen alle ins Finale.
    Gleich unser erster Angstmacher, die Arbeit, spaltet uns in zwei Gruppen. Wir sind entweder permanent geburnoutet. Oder lethargisch. Wir sind getrieben. Oder gelähmt. Wir geben alles. Oder gar nichts.
    Die Extrempole auf diesem unserem Spektrum heißen Anna und Bastian. Wir alle kennen die beiden. Wir alle sind ein bisschen so wie sie. Oder stehen irgendwo dazwischen. Und können uns nicht entscheiden. Wir kennen Anna und Bastian schon lange. Mit beiden sind wir zur Schule gegangen.
    Anna war das Mädchen, das vor und nach der Klassenarbeit jammerte, dass sie sicher eine Fünf schreiben werde. Die, die eine Woche später mit einer Eins plus unter ihrer Arbeit dasaß und überwältigt stammelte: »Das hätte ich jetzt wirklich nicht gedacht, wirklich nicht, diesmal
echt
nicht!«
    Anna war immer gut in allem. Sie brauchte keine hässliche feste Zahnspange, sie hatte immer gesundes Pausenbrot mit, sie hatte ein hübsches Gesicht und süße Grübchen. Sie sagte höflich »Nein, danke«, wenn man ihr Schokolade anbot. Sie hatte jeden zweiten Tag selber eine Milchschnitte mit. Und wenn sie die aß, sah sie sogar noch besser aus als Anke Huber in der Werbung. Sie sah aus wie Steffi Graf: rein, gesund, sportlich. Und das lag nicht nur daran, dass Anna natürlich auch Tennis spielte.
    Anna war immer schön angezogen, hatte einen feschen Pferdeschwanz, sie roch gut, nach Oilily und Tommy Girl und sie hatte schöne Schulsachen. Die guten Tintenkiller, den schönsten Lamy und ein sauber strukturiertes Hausaufgabenheft. Anna ordnete ihre Stifte nach Farben. Anna wollte immer alles richtig machen. Und sie machte immer alles richtig. Von Barrenturnen bis Bruchrechnung steckte sie sich ihre Ziele hoch und erlaubte sich keinen Fehler. Wenn sie doch einen beging, tat sie so, als würde es ihr nichts ausmachen. Aufmerksam nickte sie, wenn die Lehrer ihr ihre kleinen Schönheitsfehler erklärten, um der Fairness halber auch mal bei ihr etwas zu kritisieren.
    Später, nachmittags, weinte Anna deshalb allein in ihrem Zimmer. Und lernte danach so lang, bis sie sicher war, dieses Mal alles perfekt draufzuhaben. Die Angst vor der Fünf ging allerdings auch davon nie ganz weg.
    Anna war keine Streberin. Sie war auf ihre eigene Art cool. Sie konnte echt lustig sein. Nicht umsonst war sie Klassensprecherin.
    Annas Vater war Professor, ihre Mutter Lehrerin. Anna war Einzelkind. Aber kein verzogenes. Sie guckte für ihr Alter eben nur etwas zu ernst.
    Anna lief später an der Uni oft an uns vorbei. Sie war immer gerade auf dem Sprung, noch etwas kopieren, etwas abgeben. Sie machte eine hektische Handbewegung, ihre Hand wedelte um ihren Kopf, Anna rollte mit den Augen, es sollte heißen, dass sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher