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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
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wir es einfach nicht mehr, uns ernstlich zu fürchten. Im Gegensatz zu unseren Eltern haben wir keine plastischen Eindrücke als Beweis für die Möglichkeit von körperlicher Versehrtheit vor Augen. Die »appen« Arme der Väter unserer Väter und ihr reflexartiges Vorbereiten auf den Untergang bei politischen Gewitterlagen können wir höchstens noch nachvollziehen, aber nicht mehr verstehen. Wir glauben einfach nicht daran, dass es je wieder so kommen könnte wie bei unseren Großeltern, die noch Jahrzehnte später geschockt wiederholten: »Wir hatten ja nichts.«
    Wir hatten immer alles. Der Rahmen unserer Welt ist die Sicherheit. Unsere Eltern, der Wohlfahrtsstaat, die Demokratie, die Bundeskanzlerin. Alle waren und sind sie immer da. Einer von ihnen hat es immer noch gerichtet und wird es deshalb in Zukunft auch jedes Mal wieder richten. Für uns ist Gefahr damit zu etwas Kalkulierbarem geworden, Unsicherheit ist in errechnetes Risiko übersetzbar, dem man sich immer irgendwie entziehen kann. Zwar interessieren uns das politische Geschehen und die Tragödien der Welt. Wenn es um Flut-, Tsunami-, Erdbeben- und Hungersnotopfer oder Kriege geht, ist unsere Betroffenheit nicht gespielt. Allein das Gefühl, dass es uns, wenn wir zu Hause bleiben, nie persönlich erwischen wird, sitzt zu tief, als dass wir uns wirklich mit den Gefahren der Welt in eine emotionale Verbindung versetzen könnten. Von der zeitlichen Ebene (es war und kann wiederkommen) haben wir die Angst auf eine örtliche Dimension verlagert. Die Taliban sind immer anderswo.
    Die Welt könnte uns zu unserem abgeklärten Sicherheitsempfinden beglückwünschen. Mit uns hat die Bundesrepublik es nun also endlich geschafft, Kinder heranzuziehen, die vor kollektiven Hysterien ebenso unbeeindruckt stehen wie vor utopischen Verführungsangeboten und falschen Aufgeregtheiten. Bessere Vertreter als uns, die den Glauben an den Rechtsstaat, die freien Medien, das demokratische System und die Menschenrechte als etwas so Naturwüchsiges verinnerlicht haben wie die Mülltrennung, lassen sich nicht finden.
    Mit uns ist die große Angst verpufft.
    Und wir können uns endlich uns selber zuwenden. Nur genau da, bei uns selber, treffen wir sie wieder. Wie tief verängstigt wir sind, merkt man uns nur deshalb nicht gleich an, weil wir nicht darüber sprechen.
    Und auf den ersten Blick würde man von uns auch nicht denken, dass wir großartig Sorgen hätten. Denn wir sind lässig. Wir sind ironisch. Und wir sind nett. Wir haben schöne Bildungsabschlüsse. Wir sehen gut aus. Und sind trotzdem bescheiden. Wir haben tolle Freunde. Wir verstehen uns gut mit unseren Eltern. Wir können fließend Englisch sprechen und mit Computern umgehen. Und wir sind lieb zu Tieren. Eigentlich ist bei uns also alles in bester Ordnung. Eigentlich.
    Denn irgendwas fühlt sich merkwürdig an. Irgendwas ist irgendwie nicht ganz richtig, ist irgendwie nie ganz richtig. Hinter unseren Hornbrillen sind wir gar nicht sooo entspannt, wie wir immer tun. Es ist mehr so eine nebulöse Angelegenheit. Es handelt sich dabei um etwas, das irgendwo, tief unter unseren Trainingsjacken, nervös vor sich hin zittert. Manchmal mehr, manchmal weniger stark, aber doch die ganze Zeit. Es lässt uns keine Ruhe. Und egal, wie laut wir unsere iPods drehen, wir hören es trotzdem noch. Was genau das für ein Tinnitus sein könnte, der unseren Gleichgewichtssinn da stört, wissen wir nicht. Die anderen scheinen ihn nicht zu hören. Sie scheinen nicht zu merken, wie schwindelig uns wegen ihm oft wird.
    Und das ist eigentlich auch ganz gut so. Denn wir wollen eigentlich gar nicht darüber sprechen. Es scheint uns zu intim. Es geht nur uns etwas an. Und überhaupt ist das Gefühl viel zu schwammig. Mit dem Finger können wir zumindest nicht auf unser Leiden zeigen.
    Umso schlimmer, wenn man versucht, uns von außen zu fassen zu kriegen. Ab und zu versucht es mal wieder jemand. Wir werden dann Generation Praktikum genannt. Generation Facebook. Oder Generation Bionade. Es wäre wirklich schön, wenn wir sowas nicht mehr hören müssten. Unseretwegen könnte sich der Generationsbegriff getrost gehackt legen. Und zwar ein für alle Mal. Denn wir, wir sind die Generation Garnichts.
    Und jetzt lasst uns bitte in Ruhe. Wie es in uns aussieht, das versteht ihr nämlich sowieso nicht.
     
    Man muss nicht Freud sein oder diesen C.G. Jung, oder wie der noch gleich hieß, gelesen haben und erst recht kein Psychologiestudium absolviert
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