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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
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in nächster Zeit zu verändern. Obwohl ich das sicher glauben werde, wenn ich die Hausarbeit schreibe. Dann werd ich Ihnen erzählen, wie begeistert ich bin, wie jedes Mal. Und wie ich es einfach nicht fasse, dass es von denen da draußen«, Bastian wedelt mit seiner Hand in Richtung Fenster, »einfach keiner checkt.«
    »So wird das sein?«, fragt Herr G.
    Bastian zuckt mit den Schultern. »Vielleicht könnten Sie mich dann ja dran erinnern«, schlägt er vor. »Dann bin ich vielleicht nicht ganz so schlimm desillusioniert wie bei den letzten Malen.«
    »Woran soll ich Sie dann erinnern?«, fragt Herr G.
    »Daran, dass Marx oder Engels oder Trotzki oder Heidegger oder von wem auch immer ich Ihnen dann vorschwärme«, er lächelt sarkastisch, »dass das heute eigentlich wirklich nur noch alte Säcke sind. Alte, gammelige Säcke.«
    »… Reis«, ergänzt Herr G.
    Bastian grinst. »Klar, sorry.« Er nickt. »Reis.«
    *
    Natürlich könnten wir auch einmal andersherum denken. Wir könnten auch einmal nicht nur davon ausgehen, was wir alles
nicht
haben, was wir alles
nicht
auf die Beine stellen und was heute alles
nicht
mehr möglich ist. Sondern von dem, was wir, zumindest theoretisch, also jenseits unserer abgeklärten Ironie und unseres selbstkasteienden schlechten Gewissens haben könnten.
    Wir könnten uns fragen, wo sie denn hingehen, unsere politischen Energien, wenn schon nicht in die Politik. Wir könnten zum Beispiel darüber nachdenken, wann und wo wir sie schon einmal angetroffen haben. Wann und wo wir ihm vielleicht irgendwo, wenigstens kurz, schon einmal begegnet sind, dem Gefühl, bei etwas dabei zu sein. Dem Gefühl, ein angesprochener und zugleich sprechender Teil von etwas großem Ganzen zu sein, irgendwas gemeinsam mit anderen zu erleben, etwas, bei dem wir zählen, ohne im Mittelpunkt zu stehen.
    Wir könnten versuchen, uns zu erinnern, ob es vielleicht irgendwann damals bei der WM gewesen ist, als wir uns selbst damit überraschten, plötzlich im Jubel einfach den nächstbesten Fremden neben uns zu umarmen. Oder irgendwann danach, als wir bei den Aufnahmen der Meere aus hochgehaltenen »Yes, we can«-Schildern auf einmal kurz so etwas Ähnliches wie ergriffen waren. Oder ob es irgendwann auf irgendwelchen Festivals gewesen ist, als wir in der Masse eng aneinandergepresst wie ein einziger großer Körper im Takt zu der riesigen, uns ozeanisch durchflutenden Elektrowelle hin und her wippten.
    Ja, natürlich könnten wir uns auf diese oder ähnliche Arten über unser berühmtes, aber irgendwie merkwürdig verkorkst verschüttetes Wir-Gefühl unterhalten. Und uns überlegen, ob solche Erlebnisse vielleicht irgendwie ausbaufähig wären. Klar.
    Nur dummerweise sind diese Fragen unfassbar peinlich. Und zwar leider nicht nur ein bisschen. Sondern so richtig unbeschreiblich grausamst peinlich. Allein vom Lesen kriegen wir ja schon kilometerweit Ekelgänsehaut.
    Und deshalb – es tut uns wirklich und aufrichtig leid, aber sie gehen echt sowas von gar nicht – werden wir diese Fragen auch nicht aussprechen können. Wir werden sie weder stellen noch beantworten.
    Wir werden einfach so bleiben, wie wir sind: still.

Wir sind nicht alleine:
Versuch einer Entlastung
    »Nix Angst. Angst nix gut. Angst essen Seele auf«
    Rainer Werner Fassbinder
    Hier sitzen wir nun also. Die fünf Probestunden unserer Gruppentherapie sind vorbei. Herr G. ist kurz rausgegangen. Er kopiert noch schnell den Antrag und die Bewilligung der Krankenkasse für unsere Unterlagen.
    Wir mussten uns bei ihm gar nicht auf die Couch legen. Unser Therapeut hatte gar keine Couch. Das macht man nur in einer Analyse, hat er Bastian in der ersten Sitzung erklärt. Aber im Therapiesessel war es ja eigentlich auch ganz bequem.
    Was die letzten Wochen mit uns gemacht haben?
    Angst vor saurem Regen haben wir zumindest immer noch nicht. Und an dem Zustand, dass eigentlich alles und gleichzeitig aber auch gar nichts wirklich gut ist, hat sich strenggenommen auch nichts geändert. Eigentlich überhaupt nicht. Wir sind immer noch ständig glücklich und unzufrieden zugleich.
    Aber alles, was wir getan haben, ist ja schließlich auch nur, ein bisschen über unsere Angstmacher zu plaudern. Und vielleicht festzustellen, dass andere sie auch kennen. Bastian und Anna kennen sie zumindest sehr gut. Na toll.
    Was wir allerdings nun, wo wir unsere Ängste einmal so schön geordnet und benannt und
thematisiert
haben, mit ihnen anfangen werden oder sie mit uns,
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