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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
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an. Denn wir sind nicht gegen das System. Aber auch nicht so richtig dafür. Dafür passiert es einfach viel zu weit weg von uns, nach seinen ganz eigenen Regeln. Und daran, dass es wirklich auch etwas mit uns zu tun hat, müssen wir uns deshalb immer erst einmal wieder erinnern. Leicht fällt uns das nicht.
    Aber manchmal klappt es zumindest in Einzelfragen. Dann regen wir uns ein bisschen. Dann supporten wir mit unseren emporgestreckten Daumen irgendeine Aktion bei Facebook. Machen ein Kreuz bei einem Volksentscheid. Oder gucken sogar einmal bei einer Demo vorbei.
    Politische Menschen werden wir dadurch aber nicht. Denn das Gefühl, dass wir doch immer nur eine Art Theaterstück aufführen oder auf dem Niveau eines Kirchentags stagnieren, verlieren wir nie. Weshalb wir uns auch höchstens zu einem dieser Events pro Jahr aufraffen.
    Im Alltag lebt es sich so unengagiert ja aber auch gar nicht mal so übel. Da haben wir schließlich immer schon genug mit uns selbst zu tun und können unser schlechtes Gewissen deshalb ziemlich einfach vergessen.
    Doch unterschwellig scheint es uns mehr zu begleiten, als uns bewusst ist. Denn manchmal kommt es dann geballt. Die Scham über unsere eigene Untätigkeit kann durch einen Zeitungsartikel, ein Foto, eine Doku oder ein Buch hervorgelockt werden. Eben durch irgendetwas, das uns völlig unvorbereitet und plötzlich in Relation zu dem großen Ganzen setzt. Das uns daran erinnert, wie himmelschreiend ungerecht, brutal, arm und kaputt die Welt da draußen eigentlich ist. Und uns damit direkt auf unsere Brote schmiert, wie verdammt gut es uns doch eigentlich geht.
    Wenn es erst einmal angetippt ist, wird unser schlechtes Gewissen so schnell nicht mehr müde, auf unserem Selbstwertgefühl herumzutrampeln. Wütend redet es auf uns ein, bis es Erfolg hat. Bis wir uns selbst dafür verachten, eigentlich nichts Besseres als dumme, dicke, satte, feiste, klopsige Kinder zu sein, die glücklich fettgefressen wie die Maden im Speck des Wohlstandes sitzen. Und die sich nun, als wäre das nicht schon schlimm genug, höhnischerweise auch noch in irgendeinem lächerlichen, pseudo-altruistischen Impuls tragisch selbst dafür bemitleiden wollen, dass auch sie die Welt nicht retten können. Bevor sie wieder friedlich weiterschmatzen.
    Gegen diese armselige Ohnmacht, die wir dann verspüren, erscheint uns die unsere Kindheit begleitende Mahnung, dass in Afrika die Kinder verhungern, wie ein harmloser Benimmdichspruch. Obwohl unser heutiges Dilemma so unähnlich von unserem damaligen gar nicht ist. Denn auch damals wussten wir schon, dass es uns unmöglich sein würde, uns richtig zu verhalten: Ob wir unseren Teller nun leer aßen oder nicht – die Kinder in Afrika würden weiter verhungern. Und ob wir nun heute Fairtrade-Kaffee kaufen oder nicht, einer Partei beitreten oder nicht, ob wir nun Vegetarier werden oder jeden Tag im Block House essen – früher oder später wird sich so oder so wieder die gemeine Stimme in unserem Kopf melden, die jeden unserer Versuche der Verantwortungsübernahme auslachen wird. Und uns zynisch darauf hinweist, dass in irgendeinem T-Shirt doch wieder »Made in Bangladesh« steht und wir deshalb doch wieder irgendwen am anderen Ende der Welt ausgebeutet haben. Wenn nicht vorher sowieso noch herauskommt, dass auch das Fairtrade-Label eigentlich nur eine korrupte Verarsche war.
    Und so müssen wir die in unregelmäßigen Abständen unangemeldet auftretenden Weltschmerzflashs und die Scham für unser eigenes gutes Leben wohl einfach aushalten, bis sie von selbst wieder weggehen. Wir können nur abwarten, bis sie wieder verfliegen. Und dabei höchstens ein kleines bisschen nachhelfen, indem wir uns gegenseitig betroffen unsere Machtlosigkeit versichern. Oder mal wieder unsere ungelesenen Suhrkamp-Bände im Schrank abstauben. Oder eine kleine Google-Recherche über EU -Agrarsubventionen starten. Oder, wenn halt gar nichts mehr hilft, die Frau vom Malteser Hilfsdienst noch auf einen Kaffee hineinbitten. Um ihr zu erzählen, dass wir nächstes Mal im Restaurant ganz sicher wieder einmal eine Obdachlosenzeitung kaufen werden.
    Schön ist das alles nicht.
    *
    »Wolfgang und Ulla haben übrigens gefragt, ob du mal wieder kommst«, sagt Anna und wickelt den Schal enger um ihren Hals.
    Marie nickt. »Gern.«
    »Und Ulla will wissen, ob du dann lieber Fisch oder Limetten-Huhn willst.« Anna beugt sich zum Boden und sammelt ihre Taschentuchleichen in die Plastiktüte der Apotheke.
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