Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
Vom Netzwerk:
Sie stöhnt. Marie hilft ihr. »Hast du auch Gliederschmerzen?«, fragt sie besorgt.
    »Nee, geht schon, ist nur der Kreislauf«, sagt Anna und hält sich an Maries Arm fest.
    Marie nickt.
    »Wetten, der alte Mitbewohner von Felix ist auch da unten?«, schnauft Anna, als sie wieder flach liegt. »Der war doch auch immer so revoluzzermäßig drauf. Weißt du, der, der immer gleich jedem die Rundmails von seinem Internetforum andrehen wollte.«
    »Der, der immer meinte, man findet ihn bei Google gleich schon beim ersten Hit? Wo man dann immer so dachte: Ey, google dich doch selber, du Nerd?«, fragt Marie.
    Anna lacht leise. Ihr Lachen geht nahtlos in einen zweiten Hustenanfall über. »Ja«, japst sie, »und der mit seinen Selbstgedrehten immer alles zugeraucht hat und mich dann angemacht hat, ich sei unlocker, nur weil ich meinte, ich hätte Asthma.«
    Marie schüttelt den Kopf. Sie deckt Anna zu. »Wie gesagt, ich hab solche Leute nie verstanden«, sie reicht Anna die Schlafbrille vom Couchtisch. »So, und jetzt lass ich dich mal wieder schlafen, Süße.«
    Anna nickt. »Ich hab die auch noch nie begriffen.« Sie vergräbt ihr Gesicht tiefer im Kissen. »Noch nie«, murmelt sie und schließt die Augen.
    *
    Doch. Manchmal ahnen wir schon, dass auch in uns so etwas wie politische Energien schlummern, mit denen man auch heute noch etwas anfangen könnte. Vermutlich hat die ja sogar jeder.
    Nur bei uns haben sie leider im Regelfall herzlich wenig mit dem zu tun, was wir als Schlagzeilen auf SpiegelOnline lesen. Die Energien finden eben keinen Weg aus uns heraus. Das System bleibt da, wo es ist, und wir da, wo wir sind. Denn es ist einfach nicht mehr 1968. Sondern 2011. Und ein Obama ist auch nicht in Sicht. Sondern immer nur irgendwelche hochkomplexen Reformen. So ist das nun mal. Ist Deutschland hier. Wir haben uns damit abgefunden.
    Und deshalb werden wir in naher Zukunft realistisch betrachtet wohl auch weiterhin nicht sehr viel mehr tun als das, was wir heute tun. Wir werden uns weiterhin in einer Mischung aus Pseudo-Statement, wahrer Empörung und offener Schadenfreude Links von sich verhaspelnden oder stolpernden Ministern, Fotos ihrer schlechtsitzenden Frisuren, Clips ihrer grausamen Fremdsprachenkenntnisse und Karikaturen ihrer sonstigen persönlichen Unzulänglichkeiten hin und her schicken. Wir werden weiterhin keinen Parteien beitreten, sondern lieber Facebook-Gruppen, die »Spätrömische Dekadenz« oder »Westerwave – no one can reach me the water« heißen. Wir werden uns weiterhin jedes Mal an Silvester liebevoll, so als würden wir ein zurückgebliebenes Familienmitglied oder ein Haustier in den Arm nehmen, zum Fernseher wenden und »Och, Schätzelein, jetzt lach doch auch mal« rufen, während die Angie ihre Neujahrsansprache hält. Und uns zwischendurch immer mal wieder gerne den betrunkenen Schröder in der Elefantenrunde damals anschauen.
    Anstatt die Unterschiede in den Programmen ihrer Parteien herauszuarbeiten, werden wir uns einfach immer weiter über unsere Politiker lustig machen. Ganz so wie wir es früher in der Schule mit irgendwelchen linkischen Lehrern gemacht haben, statt ihnen zuzuhören.
    Ja, das bedeutet, dass wir politisch noch zu haben sind. Aber es heißt auch, dass, wenn man sich nicht sehr viel Mühe damit gibt, uns anzusprechen und uns zu umwerben, sich daran von alleine nichts ändern wird. Und man uns, wenn uns nicht irgendwann irgendwer dort abholt, wo wir stehen, vielleicht nie wirklich erreichen wird.
    *
    »Da ist Tom, guck«, ruft Bille vom Balkon zu Bastian in die Küche. Bastian tritt ans Fenster. Bille deutet auf einen vermummten Typen, der an der Straßenecke steht und vor einem behelmten Polizisten ein Transparent schwingt, auf dem »Smash Capitalism« steht. Bastian wendet sich ab.
    »Geil, wollen wir uns das warm machen?«, er drückt auf einer Packung eingeschweißtem Knoblauchbrot herum, die aus einer unausgepackten Aldi-Tüte neben dem Küchentisch hervorlugt. »Bille?« Er wedelt mit der Brotpackung nach draußen.
    »Gehört mir nicht«, ruft Bille über die Schulter durch die Balkontür, während sie zur Straße hinunterwinkt. »Aber können wir sicher nehmen, klar.«
    Sie kommt zurück in die Küche. »Willst du gleich noch runter?«
    Bastian streckt sich auf dem alten Sofa hinter dem Tisch aus. Er kramt eine Zigarette aus seiner Brusttasche. »Joa, vielleicht.«
    »Klingst ja nicht begeistert«, sagt Bille. Sie dreht den Herd auf.
    »Nee«, Bastian bläst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher