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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
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Schule!«
    Anna niest laut.
    »Welche?« Sie schnieft und fächert mit der Hand hektisch durch die Luft vor ihrer kribbelnden Nase.
    »Gesundheit. Na die, wie hieß die noch? Die, die damals schon immer nur in Schwarz rumlief?«, ruft Marie.
    Anna niest ein zweites Mal. »Die mit der Ratte im Pulli?«, fragt sie ins Taschentuch.
    Marie lacht. »Das war nur ein Gerücht, Süße. Aber ja, die.«
    »Nee«, krächzt Anna heiser, »das war kein Gerücht! Ich hab die doch geseh’n damals. In der großen Pause ist die immer rüber zum Kiosk und hat das Viech mit Wurstbrot gefüttert.«
    »Echt jetzt?« Marie kichert.
    »Ja, echt jetzt!«, hustet Anna.
    »Krass. Na egal, also die steht jedenfalls da hinten …«, sagt Marie.
    Anna legt die neue Taschentuchkugel auf ihren Berg.
    »Boah, krass!«, ruft Marie. »Und jetzt hat die grad voll Wasser abbekommen! Den vollen Strahl! Die ist richtig umgekippt! Wie erschossen!«
    »Echt?«, schnieft Anna. Der Berg kippt um. Sie presst ihr Handy jetzt wieder ans Ohr. »Bist du noch da, Marie?«
    »Ja«, ruft Marie durch ein Pfeifkonzert, das Anna nun auch von der Straße hört. »Da werden jetzt welche mitgenommen! Und die ist auch dabei! Die wird jetzt grad einfach mal abgeführt … Wie krass ist das denn bitte?!«
    »Ja«, sagt Anna und gähnt. »Das ist ja echt voll krass«, wiederholt sie und kramt zwischen ihren Decken nach dem Beipackzettel des Nasensprays.
    *
    Es stimmt schon: Irgendwie haben wir vielleicht ein bisschen sehr schnell aufgehört mit unserem Versuch, politisch zu sein. Aber wir wussten ja auch noch nicht einmal wirklich, was das heißt. Und wenn wir ehrlich sind, wissen wir es bis heute nicht.
    Unsere frühen Versuche jedenfalls waren so offensichtlich kläglich, dass sogar wir selbst sie ziemlich schnell nur noch belächeln konnten. Und im Nachhinein betrachtet war uns eigentlich sogar schon währenddessen, in dem Moment, als wir die »Ein Bush braucht kein Öl, sondern Wasser«-Plakate durch die Hauptstadt oder T-Shirt gewordene Hilflosigkeiten wie »Ich will Teil einer Jugendbewegung sein« oder die zwei sich gegenüberstehenden »Bis einer heult«-Panzer auf unserer Brust herumtrugen, klar, dass wir damit nicht gerade sehr glaubhaft rüberkamen. Weshalb wir es ziemlich bald einfach sein ließen. Und das Ruder an diejenigen übergaben, die sowieso überzeugter waren als wir.
    Wenn mal wieder einer derjenigen, die ihre Freizeit hauptsächlich damit verbrachten, mit wichtigen Blicken ihr Veganertum und ihre offenen Beziehungen zu verteidigen, in einer Vollversammlung auf die Tische sprang und schrie, dass wir als Zeichen unseres Protests gegen die Hochschulreform doch am besten jetzt gleich den Campus anstecken sollten, hatten wir dafür nur noch ein müdes Lächeln übrig. »Geh doch schon mal vor«, seufzten wir dann nüchtern. Und wandten uns selber lieber wieder unseren Readertexten fürs Proseminar zu.
    Denn wir hatten keine Lust, den Campus in Brand zu stecken. Und spätestens als wir in der Mittagspause angeekelt den hundertsten Spartakisten-Flyer aus unseren verkochten Mensa-Essen klaubten, war auch dem Letzten von uns klar: Der Kampf gegen den teuflischen Neo-Liberalismus und sonstige andere gemeine reaktionäre Strömungen des 21. Jahrhunderts war einfach nicht unserer. Dafür glich er uns einfach viel zu sehr einem verirrten, billigen Abklatsch von etwas lange Vergangenem. Einer schlechten Kopie, einer albern-schattenkämpferischen Imitation von einem Projekt, das doch schließlich niemand anderes als unsere eigenen Eltern längst schon ausprobiert hatten. Etwas, das den Reality-Check längst schon durchlaufen hatte.
    Und spätestens dort definitiv gescheitert war.
    *
    »Seh ich etwa immer noch
so
schlimm aus?«, Anna versucht ihr Spiegelbild im Fenster zur Straße zu erkennen. Sie sieht nur blattlose Bäume und Schneeregen.
    »Nein, nein«, beeilt sich Herr G., er hebt beschwichtigend die Hand, »um Himmels willen, nein!« Entschuldigend lächelt er Anna an. »Sie sehen nur etwas …
müder
aus als sonst«, bemerkt er fürsorglich.
    Anna blickt ihm unverwandt in die Augen. »Ja, ich war ein bisschen krank«, murmelt sie fahrig. »Ich bin ein paar Tage zu Hause geblieben … Ich hatte einfach keine Energie mehr.«
    Herr G. nickt.
    »Haben Sie sich denn etwas erholt?«
    »Hm«, Anna zuckt mit den Schultern. »Geht so.«
    »Na, jetzt ist ja erst mal Wochenende«, ermuntert Herr G. sie.
    Anna nickt abwesend.
    »Und wie geht es Ihnen sonst?«
    Anna
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