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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
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Billes alten Mitbewohnern dort in den Anfangsjahren der WG einmal ungefragt installiert hat, ist wie immer, wenn jemand das Bad betritt, automatisch angegangen und beschallt es mit Oldies.
    »Bastian?«, ruft Bille draußen im Flur durch den Kopfstimmenchor der Bee Gees. »Dein Handy vibriert!«
    Bastian antwortet nicht.
    »Bist du ins Klo gefallen?«, brüllt Bille.
    Bastian kichert. »Wusstest du«, brüllt er zurück, »wusstest du, dass man zu Hotdog früher auch Dackelwurst gesagt hat?«
    »Was?«
    »Hotdogs hießen früher D-A-C-K-E-L-W-Ü-R-S-T-E«, brüllt Bastian. »Steht hier!«
    Lachend zieht er die Spülung. Beim Händewaschen blickt er in den Spiegel. Er durchwuschelt seine Haare mit den nassen Händen, bis sie so in der Luft stehen wie die des Zunge herausstreckenden Einsteins, der über dem Spiegel neben dem Pop-Art-Che-Guevara-Aufkleber hängt.
    Bille steht direkt vor der Tür. »Hier«, sie hält ihm das Handy unter die Nase. »Gehen wir denn jetzt gleich noch runter oder nicht?«, fragt sie ungeduldig.
    »If you’re going to World Revolution, be sure to wear a helmet on your head, brother«, schreibt Michi. »Boah, langsam bitte. Kein Stress jetzt, ja?«, sagt Bastian zu Bille.
    »Wollen auch
Sie
Ihr Horoskop für den Dezember erfahren?«, textet das Radio. »Nee, wollen wir nicht«, Bastian schlägt gereizt den Lichtschalter aus und dreht der Stimme den Saft ab. Er schiebt Bille in Richtung Küche. »Ich brauch jetzt echt erst mal ’nen Kaffee«, grummelnd schaltet Bastian sein Telefon aus und wirft es ins dunkle Badezimmer in den Korb mit der Dreckwäsche.
    *
    Anna drückt auf den Türöffner. Benommen schlurft sie zurück durch den Flur zum Sofa. Alles dreht sich. Zitternd verkriecht sie sich wieder unter ihren Fleecedecken.
    »Boah, ich könnt mich ja so
aufregen
über die«, hört sie Marie an der Tür schimpfen. »Ich mein, da will man schon mal zum Sport und dann
so was
.« Marie taucht im Türrahmen auf. »Oje, du siehst ja
furchtbar
aus.«
    Anna lächelt matt.
    »Brauchst du irgendwas?«, fragt Marie besorgt. »Für dich würde ich mich glatt freiwillig noch mal in die Meute da unten stürzen und zur Apotheke durchschlagen.« Sie rollt mit den Augen. Anna schüttelt den Kopf.
    »Das war eben
echt
schlimm da draußen«, Marie setzt sich neben Anna auf die Sofakante, sie fischt mit dem Zeigefinger ein Em-eukal aus der Packung. »Ich meine, denken die, dass das ernsthaft was bringt? Wenn die zweimal im Jahr die Sparkasse einschmeißen? Das nervt doch einfach nur!« Marie leckt sich das Puder des Hustenbonbons vom Finger.
    »Ist auch frischer Tee da«, murmelt Anna.
    »Und wie die alle auch schon
aussehen
!«, fährt Marie aufgebracht fort. »In diesen Anarcho-Kluften! Weißt du noch, wie diese antideutschen Vollidioten, die uns letztes Jahr hier im Café beim Public Viewing immer mit Bierflaschen beschmeißen wollten? So!«
    Ächzend setzt Anna sich ein Stück auf. Sie muss husten.
    »Weißt du, und ich frag mich auch ernsthaft, warum die immer so
stinken
müssen!« Marie reicht Anna die Bonbontüte. »Wie die da eben auch, wie heißt die noch? Die mit der Ratte?«
    Annas Augen füllen sich mit Tränen. »Patrizia«, stößt sie durch den Husten aus.
    »Stimmt. Patrizia«, nickt Marie und hält Anna die Taschentücherbox hin. »Die stank doch auch immer so, weißt du noch? Eben da unten war auch so eine. Als die an mir vorbeigerannt ist, blieb richtig so ’ne Wolke in der Luft hängen«, Marie verzieht das Gesicht. »Ich mein, ich hab ja nix gegen Dreads und Leinenhosen, um Himmels willen. Und wegen mir müssen die sich auch nicht die Achselhaare rasieren, jeder wie er meint. Aber
Deo
? Was ist an
Deo
denn jetzt so schlimm? Was hat denn das bitteschön womit zu tun?«
    »Naja«, röchelt Anna, »vielleicht ist das ja schon zu angepasst? Zu materialistisch oder was?« Sie tupft sich die Tränen aus ihren geröteten Augenwinkeln. »Zu
böse
halt irgendwie.«
    *
    Natürlich wissen wir, dass es sie da draußen noch gibt, die politischen Fragen und Probleme. Und natürlich ist Politik nichts Vergangenes. Das wissen auch wir.
    Manche von uns treten deshalb ja auch sogar Parteien bei. Wir kriegen das leider nur nicht so wirklich mit. Sie stecken uns damit leider nicht an. Denn weder sie noch ihre Parteien stehen für irgendetwas, das uns wirklich anlocken und dem wir voll und ganz zustimmen könnten.
    Und auch die, die uns erzählen, sie seien gegen das ganze System als solches, stecken uns nicht
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