Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
Vom Netzwerk:
den ersten Schwall Rauch in Richtung Decke, »bin ich auch nicht. Ich hab eigentlich kein Bock mehr auf solche Aktionen.«
    »Hier, mach die mal auf, ich schaff das nicht, bin zu schwach«, Bille reicht ihm die Espressokanne.
    »Weißte«, sagt Bastian durch die Zähne, zwischen denen seine Zigarette hängt, während er die Kanne aufdreht, »ob die jetzt hier ein Haus besetzt halten oder nicht – also ich find’s ja gut und richtig, wenn sie radikal sein wollen –, aber eigentlich ist das doch auch kackegal.« Er legt die Kannenteile auf den Tisch. »Eigentlich sind das doch auch alles nur Pseudos«, sagt er verächtlich und pustet den Rauch über seine Schulter.
    Bille nickt abwesend. Sie baut die Kanne wieder zusammen und blickt zum Balkon. »Tom ist eben gut an den Bullen vorbeigekommen. Hat er Glück gehabt. Letztes Mal haben die den voll fertiggemacht.« Vorsichtig häuft sie einen Löffel Espressopulver in das kleine Metallsieb der Kanne. »Der ist eigentlich eh noch so fertig von letzter Woche«, erzählt sie. »Der war letzte Woche wieder beim Castor am Start und hat da ’ne Nacht im Gleisbett gepennt. Eigentlich ist der jetzt voll erkältet.«
    »Aha«, sagt Bastian und drückt seine Zigarette im Aschenbecher aus, »der Arme.« Bastian reibt sich die Hände. »Boah, Bille, mach doch jetzt bitte mal
endlich
die Balkontür zu«, ruft er und schlägt Bille mit einer labberigen Kräuterbaguettestange gegen den Arm, so dass das Espressopulver vom Löffel kippt. »Sonst erkälten wir uns nämlich auch noch«, sagt er und erwidert Billes genervten Blick mit einem unschuldigen Lächeln. »Und das wollen wir ja schließlich nicht. Oder?!«
    *
    »Gestern«, erzählt Anna Herrn G., »als ich wieder einigermaßen auf den Beinen war, bin ich dann noch zu meiner Großmutter gefahren.«
    »Das ist doch schön, oder?«, fragt Herr G. aufmunternd.
    Anna nickt und zwingt sich zu einem Lächeln. Ihr Ziel ist es, diese Sitzung durchzuhalten, ohne übers Wetter sprechen zu müssen. Und ohne zu heulen. Zumindest nicht wegen irgendwelcher komischen selbstmitleidigen Stimmungen.
    »Wie alt ist denn Ihre Großmutter?«
    »Fünfundachtzig.«
    »Haben Sie ein enges Verhältnis zu ihr?«
    »Ja, naja, früher«, Anna zuckt mit den Schultern. »Also wenn ich ehrlich bin, zieht’s mich heute eigentlich nur noch runter, sie zu besuchen. Also nicht
sie
zieht mich runter, sondern dieses Heim. Und dabei isses ein gutes Heim.« Anna zupft wieder an ihren Ärmeln. Sie blickt auf ihre Hände. »Wie da diese ganzen alten Leute vor der Caféteria in ihren Rollstühlen sitzen und einen so groß angucken, mit diesen … leeren Blicken. Als würden die durch Milchglas gucken. Und wie die hinten die Haare so wirr haben, weil sie nicht mehr selber mit der Bürste rankommen und die Pflegerin sie scheinbar vergessen hat. Und wie sie den ganzen Tag nichts tun.
Nichts.
Das ist doch so schrecklich. Das ist sooo traurig, find ich.«
    Anna schaut zu Herrn G. auf. »Ich frag mich dann immer jedes Mal, also gestern auch wieder,
umarmt
irgendwer diese Menschen eigentlich mal? Die, die keinen Besuch kriegen? Oder werden die einfach
nie
umarmt,
jahrelang
nicht, von
niemandem

    Herr G. nickt ernst.
    »Und dann geht man da wieder raus, in seine eigene Welt, und vergisst das alles lieber ganz schnell wieder. Einfach so. Und es funktioniert. Und man hat wieder nur sich selbst auf dem Radar. Und dreht sich wieder nur um seinen eigenen Stress. Und den der drei, vier anderen Menschen, die einem wirklich wichtig sind. Bis es einem dann an Weihnachten oder so, wenn man seine Großmutter abholt, damit sie da mal wegkommt, wieder einfällt. Das ist doch eigentlich zum Kotzen, oder? Also ich find das
furchtbar
!« Anna schüttelt fassungslos den Kopf.
    Herr G. schweigt.
    »Vielleicht sollten Sie Ihre Großmutter einfach öfter besuchen?«, fragt er leise.
    »Ja«, seufzt Anna und schaut wieder auf ihre Hände. »Ja, vielleicht.«
    *
    »Wissen Sie, was
ich
glaube?«, fragt Bastian Herrn G.
    »Verraten Sie es mir«, sagt Herr G. abenteuerlustig.
    »Ich glaube, Marx hatte recht!«, sagt Bastian triumphierend.
    Herr G. zieht die Augenbrauen hoch.
    »Aber wissen Sie, was ich auch glaube?«
    »Und zwar?«
    »Wenn niemand seine Ideen richtig umsetzt, sind all die tausend Kilometer Buchseiten, die er geschrieben hat, Bullshit.« Bastian wirft Herrn G. einen wissenden Blick zu. »Denn
wir
, also die Leute da draußen, die werden es schon mal gar nicht hinkriegen, die Welt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher