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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
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letztes Jahr auch nur ansetzen konnte zu erklären, dass die unsichtbare Aschewolke über unseren Köpfen ungefährlich sei, wussten wir deshalb schon: Sie würde niemandem etwas tun.
    »Schon krass«, sagten wir zwar, als irgendwann Griechenland pleiteging, und schwiegen danach einen Moment lang, weil uns das angemessen schien. Dabei dachten wir eigentlich nur an eisgekühlten Ouzo und die süßen weißen Häuschen an der Strandpromenade von Mykonos. Denn nächstes Jahr, wenn wir dort Urlaub machen würden, würde ja sowieso alles wieder vergessen sein.
    Sämtliche Katastrophen prallten auf diese Weise an uns ab wie saure Regentropfen an sicher gefetteten Fischermänteln. Und für den unteren Rest der Bedrohungsmatsche hatten wir immer noch unsere dicken Gummistiefel der Ignoranz an.
    Normalerweise warten wir, unserem Anstandsgefühl folgend, das natürliche Ablaufdatum einer jeden neuen Katastrophe ab, bis wir sie als nächste überkommene Phobie in die Abfallhalde durchwinken. Etwa ein bis zwei Wochen, je nach Anlass, dauert es, bis die Katastrophenstimmung durch die allerseits einsetzende mediale Abstumpfung etwas abgeklungen ist und wir den Panikschrott endlich in die Tonne treten können.
    Ein Ende ist dabei kaum abzusehen. Stetig erreicht neu aussortiertes Panikmaterial das Endlager der falschen Alarme. Die Deponie der überkommenen Ängste ist mittlerweile schon zu einer richtig beachtlichen Landschaft gewachsen. Neben Tonnen von Separat- und Gammelfleisch trifft man dort alle alten, fast schon vergessenen Bekannten wieder. Die traurig verendete Big-Brother-Paranoia zum Beispiel. Still beschienen von krebserregenden Handystrahlen liegt sie auf einer irreal neongrün schimmernden, weil pestizidverseuchten Wiese. Ihr Anblick könnte fast friedlich wirken. Wäre da nicht das zufriedene Schmatzen der fiesen kleinen Glutamate, die sich durch das Aas ihres einst von kollektiver Furcht gestählten Körpers fressen.
    In einer anderen Ecke der alten Wahnvorstellungshalde führen biometrisch bereits pränatal bestens von bösen Menschenzüchtern dokumentierte Stammzellenklone wankend einen gespenstischen Totentanz auf. »Dieter Bohlen for President!« und andere Parolen der selbst-entfremdet-konsumgesteuerten Spaßgesellschaft, die sie vor langer Zeit verstoßen hat, grunzen sie dabei braindead, im feinsten denglischen Verblödungsjargon, vor sich hin. Ab und zu stolpern die mutierten Aliens dabei über alte Geröllhaufen der kaputten deutschen Sprache. Lange kaputt gesimst liegt sie in Splittern am Boden, gleich neben dem ebenso lang schon regungslosen Grausen der Rechtschreibreformgegner.
    Dann freuen sich die Klone. »Komasaufen«, grölen sie euphorisch und stoßen mit ihren Alkopops an. Ihr martialisches Lachen hallt durch die verstrahlte Atmosphäre. Schadenfreude ist das Einzige, was sie noch fühlen können. Aber wem würde das nach jahrelanger emotionaler Verrohung vom vielen Töten in den Parallelwelten von World of Warcraft anders gehen?
    Um die Müllwelt der toten Paranoia wachsen groteske Schuldenberge. Immer höher türmen sie sich in den CO 2 -verpesteten Himmel. Müde sitzt eine Kleingruppe Datenschutzphobiker an der Straßenecke und winkt ab und zu ermattet dem vorbeirollenden Satellitenauto hinterher, das die Szenerie mit der komplizierten Laservermessungstechnik seiner Weitwinkelkameras für Google Street View ablichtet. Im Stakkato-Rhythmus einer alten scheppernden Alarmanlage wiegen sich vereinzelte Mitglieder des abgehängten Zombieprekariats von Volkszählungsparanoikern hospitalistisch am Boden hin und her.
    Zugegeben: Es ist eine etwas trostlose Welt, in die wir die Paranoiaveteranen da entlassen. Sie können einem schon leidtun, die sich dahinschleppenden Haldengestalten, wie sie dort ihr Dasein fristen. »Aber, hey«, will man den Mutanten aus der angstfreien Zone zurufen, »das wird schon wieder, Jungs! Bald kommt wieder Leben in die Bude! Spätestens 2012 gibt's wieder Nachschub, der euch sicher aufmuntern wird. Dann wird eine Ladung frisch-desillusionierter Inkageister sich vor euren Augen gegenseitig die Köpfe einschlagen. Weil es bei denen nach ihrer falsch berechneten Weltuntergangsprognose natürlich mal wieder niemand gewesen sein will.
    Und bis dahin, hier, spielt doch 'ne Runde Eierlaufen mit den Dioxinhühnern! Uns interessieren die nämlich nicht.«
     
    Ganz leise ahnen wir, dass unsere jahrelang eingeübte völlige Angstbefreitheit ein bisschen naiv ist. Doch irgendwie schaffen
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