Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
Vom Netzwerk:
grad total überfordert mit dem Tag war. »Wir telefonieren, ja?«, rief sie und lachte uns offen und herzlich an. Wir gingen selten mit ihr Kaffee trinken. Weil sie immer wieder abtauchte. Nur auf den Uni-Partys konnte man sie manchmal zu fassen kriegen. Dann erzählte sie von ihren diversen coolen Auslandssemestern und Praktika. Von all den Steinen, die sie überall im Brett hatte. Nur dass sie es natürlich viel eleganter verpackte. Denn Anna war immer noch bescheiden. »Ach, is' jetzt auch egal«, lachte sie, nachdem sie die jetzigen und zukünftigen perfekten Lebenslaufpunkte heruntergerattert hatte, und betrank sich mit uns. Danach sah man sie wieder monatelang nicht wieder.
    Anna studierte schneller, als die Regelstudienzeit es verlangte. Sie hatte drei Hiwijobs zur freien Auswahl, die Profs waren allesamt ihr und den brillanten Gedankengängen in ihren Seminararbeiten verfallen, Annas Magisterarbeit wurde in einem Sammelband veröffentlicht, sie konnte sich vor Lob kaum retten. Nur sie selber hatte immer noch Angst davor, eine Fünf zu schreiben. Aber das merkte man ihr schon lange nicht mehr an.
    Wir sind mit Anna bei Facebook befreundet. Dort können wir ihren Aufstieg weiterverfolgen. Sie ist jetzt Junior Assistant in einer Werbeagentur. Sie hat 631 Freunde. Und sieht auf jedem Bild ausgeschlafen aus. Anna ist perfekt.
    Bastian hat immer noch dieselbe wirre Frisur wie in der dritten Klasse. Er guckt auch immer noch genauso verquer wie damals. Sein Lächeln ist allerdings fast noch süßer geworden. Bastian hat noch nie eine Eins geschrieben. Trotzdem oder gerade deshalb haben ihn in der Schule alle geliebt. Bastian sei »plietsch«, sagten die Lehrer. Nur eben ein Chaot. Sie lachten.
    Bastians Eltern zuckten mit den Schultern. So war er schon immer, grinsten sie und wuschelten ihm über den Kopf. Bastians Vater war Professor, seine Mutter Lehrerin. Er hatte noch einen älteren Bruder, die beiden tobten eine Zeitlang zusammen im Garten, dann verloren sie das Interesse aneinander und gingen komplett unterschiedliche Wege.
    Bastian war alles andere als blöd. Er funktionierte wie ein Streichholz: Er brannte für eine Idee, einige Sekunden lang, dann war er schon wieder woanders, beim nächsten Gedanken, beim nächsten Lieblingssport, beim nächsten Lieblingsfach. Und zwischen den ihn begeisternden Feuern und Flammen träumte er manchmal tagelang aus dem Fenster. Er sah süß aus dabei.
    Wenn Bastian in der Schule störte oder versagte, konnte keiner ihm böse sein. Wenn die Lehrerinnen mit ihm schimpften, lachte er sie offensiv an. Seine Augen blitzten dabei. Er war einfach zu liebenswert, um mit ihm zu schimpfen. Und zu gut. Ein paar Wochen lang leitete Bastian die gesamte Schülerzeitung alleine, er spielte die Hauptrolle im Schultheater und gewann die Bundesjugendspiele, ohne vorher länger als eine Woche trainiert zu haben.
    Alle Mädchen waren in ihn verliebt, und seine Geburtstage waren die coolsten. Dort stopfte Bastian sich so viel Hubba Bubba in den Mund, wie er konnte, blies die größte Blase von allen und lachte, wenn sie zerplatzte und die pinke zweite Haut seine Wuschelkopfhaare verklebte.
    Obwohl er auf den letzten Metern vor dem Abi noch mal alle Rekorde in Schulverweisen und Fehlstunden zu toppen versuchte, trafen wir Bastian an der Uni wieder. Er war überall. Jeden Tag winkte er vor irgendeinem Gebäude, durch die Mensa oder die Cafeteria. Er war immer umgeben von tausend Leuten, er kannte jeden und hatte immer Zeit und Lust auf einen Kaffee. Im Seminar redete er viel, er machte Witze, die sogar der Prof ganz lustig fand, weshalb Bastian seine Hausarbeiten auch immer drei Monate später abgeben durfte als alle anderen.
    Bastian funktionierte noch immer wie ein Streichholz: Ein paar Wochen schmiss er den gesamten Fachschaftsrat, organisierte Diskussionen über die Umstrukturierungsmaßnahmen der Diplomstudienordnung, schob drei Bierschichten auf der Semesterparty und veranstaltete Grillpartys am Badesee mit den Erasmusstudenten. Die Austauschstudentinnen, die, während sie mit ihm abstürzten, begeistert durch seine Wuschelkopfhaare strichen, wurden dabei von mal zu mal hübscher.
    Wir sind nicht mit Bastian bei Facebook befreundet. Denn Bastian ist nicht bei Facebook. Er ist in Südamerika. Und dort hat er sein Handy aus. Oder kein Guthaben mehr. Bastian ist alles andere als perfekt.
     
    Unser geiles Quiz basiert auf der allgegenwärtigen Angst davor rauszufliegen. Der Angst, nicht in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher