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Wir haben keine Angst

Wir haben keine Angst

Titel: Wir haben keine Angst
Autoren: Pauer Nina
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Fall endlich zeigen wird, was er drauf hat. Weil es sich sehr glaubhaft anhört, wenn er das sagt. Und weil Bastian einfach ein sehr fotogenes Lächeln hat. Zehntausende Teenieherzen könnten diesem Lächeln zufliegen. Er verdient seine Chance.
    *
    Anna steht geschniegelt in der ersten Reihe. »Ready zum Performen?«, fragt der Aufnahmeleiter sie. Anna nickt entschlossen. Sie ist professionell. Sie gehört zu den Favoriten. Und sie weiß es.
    In jeder neuen Staffel gibt Dieter Anna den Zettel zum Recall schon, bevor sie den Mund überhaupt aufgemacht hat. Wenn sie vor ihn tritt, lächelt sein dunkelbraun-ledernes Gesicht bis in die letzte Lachfalte in entzückter Entrückung. Dabei ist sie mit ihren dunkelblonden Haaren äußerlich eigentlich gar nicht so der migrantische Naddel-Typ, den er eh immer schon aus Prinzip weiterlässt.
    Es liegt einfach daran, dass Anna es kann. Dass sie es voll drauf hat, dass alles passt. Dass sie das Gesamtpaket hat. Und vor allem genau kapiert hat, was hier gesucht wird.
    Heidi quietscht vor Freude, wenn sie Anna ihr Foto überreicht. Vielleicht sieht sie ein Stück von sich in ihr, könnte man fast meinen, denn so viel Prozent Natürlichkeit sind wirklich selten in ihrem Lächeln zu erkennen. Das Einzige, was Heidi Anna beim sonst weitaus unterkühlteren Küsschen-Küsschen noch als Verbesserungsvorschlag ins Ohr schmatzt, ist, dass sie noch ein bisschen am Ausdruck in ihren Augen arbeiten könnte. Der sei irgendwie noch ein bisschen zu ängstlich. Und Angst will man ja auf dem Catwalk schließlich mal so gar nicht sehen, zwinkert Heidi. Angst ist unsexy, lacht sie. Anna lacht mit.
    *
    Bastian traut sich nicht hochzuschauen. Herr G. sagt, wenn er mit ihm zusammenarbeiten wolle, sollte er in Zukunft besser pünktlich sein. Er sagt es nett. Bastian starrt trotzdem auf den Boden. Regenwasser tritt aus seinen kaputten alten Asics-Schuhen und färbt die Fasern des Teppichs dunkel.
    Herr G. spricht genau so psychologisch wertvoll mit ihm wie die Lehrer, wenn sie ihm erklärten, dass er bei einer weiteren Fünf versetzungsgefährdet sein würde. Dass sie ihn gerne behalten würden, weil er ein echt feiner Kerl sei. Dass er es selber in der Hand hat.
    Bastians beste Freundin Bille hat ihn zu diesem Heini geschickt. Billes Mitbewohner ist auch bei G. und ganz begeistert. Bastian ist der Typ auf den ersten Blick eher suspekt.
    Er seufzt. Eigentlich hat er überhaupt keine Lust auf diesen Psychokram. Er braucht das nicht. Er würde eigentlich gerade viel lieber zu Hause auf dem Sofa sitzen und fernsehen. Rauchen. Lesen.
    Bastian denkt daran, wie Bille jetzt sagen würde, dass es nicht immer darum gehen könne, was er gerade will oder nicht will. Und daran, dass er noch einkaufen muss. Sein Kühlschrank ist leer.
    Der Psycho-Onkel lächelt debil aus dem Fenster. Warum Bastian hier sei, hat er wissen wollen. Es scheint, als hätte der Typ Nerven aus Stahl. Als sei er irgendwo hingegangen, an einen geheimen Ort in seinem Kopf, wo es komplett egal ist, ob Bastian jetzt oder erst in zehn Jahren antwortet. Bastian hält die Stille nicht aus. Er hibbelt mit den Füßen.
    »Das habe ich doch gerade eben schon gesagt«, murmelt er kaum verständlich. »Mir wird alles zu viel. Der Druck macht mich einfach fertig.«
    Herr G. wendet sich Bastian zu. Von irgendwo ganz weit weg kommt er zu ihm in den Raum zurück. Er schaut Bastian offen an. »Sie sind jetzt einunddreißig, stimmt das?« Er lächelt. Die Falten um seine Augen sehen unfassbar freundlich aus.
    Bastian nickt. Er versucht, zurückzulächeln. Schüchtern. Es wird ein schräges Lächeln. Bastian fühlt sich nicht wie ein einunddreißigjähriger Mann, sondern wie ein kleiner Junge. Er zuckt mit den Schultern. »Ich krieg einfach nix auf die Reihe.«
    *
    Die farblosen Normalos sitzen backstage in der Umkleide. Zwischen den Stühlen. Sie fühlen sich fehl am Platz. Verwirrt schauen sie die sich selbst kasteienden Favoriten an, die heimlich hinter der Spindreihe weinen und sich einbilden, keiner bekäme es mit. »Reiß dich zusammen«, fahren die Topkandidaten sich selbst an. Schluchzend geloben sie sich noch härteres Training und streichen sich erst mal die Mittagspause und das Abendbrot.
    Konfus blicken die soliden Mittelfeldkandidaten von diesen kaputten Stressern weiter zu den Hängern, die in der Ecke auf dem Boden noch immer gedankenverloren auf ihrer Gitarre schrammeln. Am laufenden Band vergessen sie die einzigen zwei Sätze ihres englischen
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