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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter
Autoren: John Burdett
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1
    Der schwarze Marine in dem grauen Mercedes wird bald am Biß der Naja siamensis sterben, aber das wissen wir, Pichai und ich, noch nicht (die Zukunft ist unergründlich, sagt Buddha). Wir befinden uns einen Wagen hinter ihm an der Mautstelle der Schnellstraße zwischen Flughafen und City; näher sind wir seit mehr als drei Stunden kein einziges Mal an ihn herangekommen. Ich sehe voller Bewunderung, wie er seine riesige schwarze Hand mit dem schweren Siegelring am Zeigefinger aus dem Fenster streckt, einen Hundert-Baht-Schein zwischen dem kleinen Finger und dem, den unsere Wahrsager als den Finger der Sonne bezeichnen. Eine Frau mit Mundschutz nimmt den Schein, reicht ihm das Wechselgeld aus dem Glashäuschen und nickt zur Antwort auf etwas, das er zu ihr sagt, wahrscheinlich in sehr schlechtem Thai. Ich erkläre Pichai, daß nur eine bestimmte Sorte amerikanischer farang sich mit dem Personal der Mautstelle unterhalten würde. Pichai sinkt grunzend tiefer in seinen Sitz, um ein Nickerchen zu machen. Zahllose Studien belegen, daß der Schlaf das Lieblingshobby meines Volkes ist.
    »Er hat ein Mädchen im Wagen«, murmle ich beiläufig, als wäre das kein klarer Beweis unserer Inkompetenz. Pichai öffnet zuerst das eine, dann das andere Auge, taucht wieder auf und reckt den Kopf, gerade als der Mercedes davonprescht wie ein Vollblutpferd.
    »’ne Nutte?«
    »Haare mit grünen und orangefarbenen Strähnchen, Afrolook. Schwarzes Top mit Spaghettiträgern. Sehr dunkle Haut.«
    »Ich wette, du weißt, welches Label das schwarze Top ist.«
    »Ja, ein Armani-Imitat. Wenigstens war Armani der erste, der so was entworfen hat. Inzwischen gibt’s jede Menge Nachahmer.«
    Pichai schüttelt den Kopf. »Du hast wirklich Ahnung von Mode. Wahrscheinlich ist sie am Flughafen zugestiegen, als wir ihn die halbe Stunde aus den Augen verloren haben.«
    Ich erwidere nichts, als Pichai, mein Bruder im Geiste und Partner in der Trägheit, wieder eindöst. Vielleicht schläft er gar nicht, sondern meditiert. Er gehört zu den Menschen, die der Welt müde sind. Das hat ihn dazu gebracht, sich ordinieren zu lassen, und ich bin derjenige, der ihm zusammen mit seiner Mutter Kopf und Augenbrauen rasieren soll, wenn er stirbt – eine Ehre, die es uns erlaubt, uns im Augenblick des Todes an seine safranfarbene Kutte zu klammern und gemeinsam mit ihm zu einem der Buddhahimmel zu fliegen. Sie sehen schon, wie tief verwurzelt die Kumpanei in unserer alten Kultur ist.
    Die Kopf- und Schulterpartie des schwarzen Marine übt eine fast schon hypnotische Faszination auf mich aus. Am Anfang unserer Observation habe ich ihn an einer Tankstelle aus dem Wagen steigen sehen: Dieser Riese mit dem vollkommenen Körper hält mich schon seit drei Stunden in seinem Bann. Er ist so etwas wie ein schwarzer Buddha, der Inbegriff der Perfektion, von dem wir anderen nur ein Abklatsch mit häßlichen Mängeln sind. Die Nutte wirkt neben ihm beinahe zerbrechlich, als könnte er sie wie eine Traube am Gaumen zerquetschen – und sie wäre ihm auf ewig dankbar für dieses Gefühl der Ekstase (Sie merken schon, ich bin nicht zum Mönch geschaffen).
    Als ich unseren altersschwachen Toyota endlich zu der Mautstelle gelenkt habe, ist er mit seinem brandneuen Garuda schon in weiß Gott welches himmlische Lotterbett entflohen.
    Ich sage zu meinem geliebten Pichai: »Wir haben ihn verloren«, doch auch Pichai ist entflohen, hat seinen Körper verlassen, der auf dem Sitz neben mir schnarcht.
     
    Die Naja siamensis ist die prächtigste unserer Speikobras und könnte wegen ihrer Schönheit, ihres Charmes, ihrer Schläue und ihres tödlichen Bisses gut und gern unser Landessymbol sein. Das Wort naja stammt aus dem Sanskrit und ist ein Verweis auf den großen Naja-Erdgeist, der unseren Lord Buddha während eines schrecklichen Sturms beim Meditieren in einem Wald schützte.

2
    Die Hochstraße ist der einzige Verkehrsweg der Stadt, auf dem ein Mercedes-E-Modell einen Toyota Echo abhängen kann, und ich fahre ohne Hoffnung und Hast (sie kommt von Dämonen, die Langsamkeit von Buddha), sozusagen pro forma, weiter. Ich komme mir fehl am Platze vor inmitten all der teuren Gefährte, deren Besitzer sich die Maut leisten können: Mercedesse und BMWs, japanische Geländewagen sowie jede Menge Taxis mit farangs im Fond. Wir huschen an den Bordell-Hotels des Nana-Viertels vorbei, bevor ich über eine Ausfahrt im Urschleim des stockenden Verkehrs da unten versinke.
    Nirgendwo sind die Staus
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