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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Autoren: Brian Ruckley
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wird erst enden, wenn die Welt selbst ein Ende nimmt.«
    Tegric starrte der kleiner werdenden Gestalt eine Zeit lang nach. Dann wandte er sich wieder seiner Näharbeit zu.

    Kurz darauf stockte seine Hand in ihrem rhythmischen Auf und Ab, und die Nadel erstarrte mitten in der Luft. Etwas bewegte sich gegen die Felsen, drunten am südlichen Ende des Passes. Er legte sachte seinen Rock beiseite. Auf ein Knie gestützt, richtete er sich halb auf.
    »Kilkry«, hörte er einen der Krieger zu seiner Linken murmeln.
    Die Gestalt, die aus Felsen und hellem Licht zusammenfloss, schien in der Tat ein Reiter zu sein. Und sie war nicht allein. Mindestens ein Dutzend Berittene bahnte sich den Weg durch das Tal der Steine herauf.
    Tegric legte eine Hand instinktiv auf das kühle Metall seines Kettenhemds. Er spürte unter seinen Fingerkuppen getrocknetes Blut, die Hinterlassenschaft einer Woche nahezu pausenloser Kämpfe. Er hatte keine Angst vor dem Tod. Diese eine Furcht nahm der Schwarze Pfad seinen Anhängern von den Schultern. Ihn quälte lediglich die Sorge, dass er in seinem Entschluss wanken könnte, bereitwillig und voller Demut alles zu ertragen, was die Zukunft für ihn vorsah.
    »Haltet euch bereit!«, raunte er gerade so laut, dass ihn die Umstehenden hören konnten. Sie gaben den Befehl weiter. Tegric riss mit einem Ruck die Nadel aus der Fadenschlaufe und schlüpfte wieder in seinen Rock. Er streifte das Kettenhemd über den Kopf und spürte das vertraute Gewicht auf den Schultern. Wie Rauch, der von einem frisch entfachten Feuer aufstieg, wand sich die immer länger werdende Linie der Reiter vom Tal den Pass herauf.
    Die berittenen Krieger von Kilkry waren berühmt unter den Kämpfern der Than-Geschlechter, aber gegen den Ort, den Tegric für sein Gefecht ausgewählt hatte, würde selbst ihr Geschick und ihre Tapferkeit wenig nutzen. Ein gigantischer Felsensturz von den höher gelegenen Klippen hatte das Tal der Steine fast vollständig blockiert. Das Geröll und der Schutt würden die Reiter stark behindern oder gar zum Absteigen zwingen. Tegrics Schwertkämpfer und Bogenschützen hatten zunächst alle Vorteile auf ihrer Seite. Später, wenn das Hauptheer anrückte, würde man sie überwältigen, aber das spielte keine Rolle.
    Er spähte zur Sonne hinauf, die gleißend hell am wolkenlos blauen Himmel stand. Er hörte die Schreie der Bussarde und Raben, erkannte die dunklen Umrisse, die in mühelosen Spiralen dahinglitten. Kein schlechter Platz und kein schlechter Tag zum Sterben, wie ihm schien. Wenn dies beim Erwachen in der neuen Welt, die ihm der Schwarze Pfad verheißen hatte, seine letzte Erinnerung an das frühere Leben sein sollte, konnte er zufrieden sein.
    Tegric Wyn dar Gyre richtete sich auf und gürtete sich mit seinem Schwert.
    Das Dritte Zeitalter
Jahr 1087
    Nebel hatte sich über das Dorf gelegt, und Wasser, Land und Luft bildeten eine einzige graue Masse. Die Rundhütten waren verschwommene Formen, die hier und da wie Grabhügel aus dem Morgendunst ragten. Tau lag schwer auf den Grassoden, die sie bedeckten. Ein einsamer Fischer stakte seinen flachen Kahn in einen der Kanäle, die sich durch die Schilfflächen rings um das Dorf schlängelten. Sonst war kein Lebenszeichen zu erkennen, wenn man von den dünnen Rauchfahnen absah, die aus den Abzugslöchern der einen oder anderen Hütte aufstiegen. Kein Windhauch störte sie, während sie immer höher schwebten und sich schließlich im Grau verloren.
    Eine größere Hütte stand abseits von den anderen auf erhöhtem Grund. Eine Gestalt tauchte aus dem Nebel auf und ging auf sie zu – ein Halbwüchsiger, nicht älter als fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Seine Füße hinterließen tiefe Abdrücke im moosigen Gras. Vor der Hütte hielt er inne und sammelte sich. Hoch aufgerichtet stand er da und ließ die Blicke umherschweifen, atmete die feuchte Luft ein und aus, als wolle er die Lungen reinigen.
    Als sich der hirschlederne Vorhang am Eingang hinter ihm senkte, war das Innere in tiefe Dämmerung getaucht. Nur durch das kleine Loch in der Mitte der Dachwölbung fiel ein milchiger Lichtstrahl herein; das Torffeuer war heruntergebrannt und glomm nur noch schwach. Der Junge erkannte die undeutlichen Umrisse von einem guten Dutzend Männern und Frauen, die reglos in einem Halbkreis um die Feuerstelle saßen. Auf einigen der Gesichter lag der rötliche Widerschein der letzten Glut: Er kannte sie, aber das war hier und jetzt gänzlich unwichtig. An diesem
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