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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Autoren: Brian Ruckley
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Gurt mit Scheide und Schwert lagen daneben. Zu seinen Füßen befand sich der Helm. Das war alles, was ihm blieb, alles, was er noch brauchte. Sein Pferd hatte er einer Frau geschenkt, die mühsam hinter dem großen Zug herhinkte, den Beutel mit den wenigen ersparten Münzen einem Jungen, der durch den Schock oder Schmerz die Stimme verloren hatte.
    Über sich hörte er das Kreischen der Bussarde. Sie kreisten tiefer, bereit, sich auf die Toten zu stürzen, die knapp außer Sichtweite lagen. Seine Gegenwart und die seiner hundert Krieger mochte die Aasfresser noch eine Weile abschrecken, aber es war nicht so, dass er ihnen das Mahl missgönnte. Die Verstorbenen brauchten ihre Hüllen nicht mehr: Wenn die Götter zurückkehrten – und sie würden zurückkehren, sobald alle Völker der Welt die Demut des Schwarzen Pfads angenommen hatten –, erhielten sie neue Körper in einer neuen Welt.
    Von seinem Platz aus sah Tegric das Tal der Steine als langen, schräg ansteigenden Bogen. Immer wieder schaute er von seiner Näharbeit auf und ließ die Blicke rückwärts schweifen, den Weg entlang, den sie gekommen waren. In weiter Ferne lag Grive, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte: eine Gegend der sanftgrünen Weiden und wohlgenährten Rinder, von diesem erdrückenden Tal der Steine so verschieden, wie ein Ort nur sein konnte. Aber die Erinnerung rief keine besonderen Gefühle in ihm wach. Der Rest seiner Familie hatte sich dem wahren Glauben verschlossen. Als Avann oc Gyre, ihr Than, für sein Volk den Schwarzen Pfad erwählt hatte, waren sie aus Grive geflohen und aus dem Leben von Tegric verschwunden. In jedem Stamm, selbst im Haus Kilkry, hatte der Schwarze Pfad zahllose Familien getrennt, Beziehungen und Blutsbande zerrissen, die seit Generationen bestanden hatten. In Tegric löste das weder Erstaunen noch Bedauern aus. Eine so profunde Wahrheit wie die des Schwarzen Pfads hatte unweigerlich Konsequenzen.

    Ein alter Mann humpelte das Tal herauf, in eine zerschlissene braune Kutte gehüllt und auf einen Stab gestützt. Er war vielleicht der letzte Nachzügler der vielen tausend Flüchtlinge. Obwohl sie sich fast am höchsten Punkt des Passes befanden, besaß die Sonne, die aus einem wolkenlosen Himmel herunterbrannte, immer noch enorme Kraft. Schweiß perlte von der Stirn des Alten. Er blieb schwer atmend vor Tegric stehen. Der Krieger musste gegen das Sonnenlicht blinzeln, als er zu dem Mann aufschaute.
    »Bin ich weit hinter den anderen?«, fragte der Fremde, während er nach Luft rang.
    Tegric bemerkte die bandagierten Füße, die zitternden Hände.
    »Ein gutes Stück«, sagte er leise.
    Der Alte nickte, kaum überrascht und, wie es schien, ziemlich gelassen. Er wischte sich mit dem Saum seiner Kutte den Schweiß und Staub von der Stirn.
    »Ihr wartet hier?«, erkundigte er sich, und Tegric nickte.
    Der Mann ließ seine Blicke über die Krieger schweifen, die hinter den großen Felsblöcken lagerten.
    »Wie viele seid ihr denn?«
    »Hundert«, entgegnete Tegric.
    Der alte Mann lachte leise. Es war ein kaltes, humorloses Lachen.
    »Dann seid ihr am Ziel eures Weges angelangt, ihr hundert. Ich wandere besser weiter, um herauszufinden, wo mein eigenes Schicksal endet.«
    »Tut das«, sagte Tegric ruhig. Er beobachtete, wie sich der Alte unsicher den Weg entlangtastete, den so viele Tausende vor ihm gegangen waren. Nichts in seinem etwas rauen Akzent hatte auf den Gyre-Stamm oder auf Avanns Herrschaftsgebiet im Glas-Tal hingedeutet.
    »Woher kommt Ihr, Väterchen?«, rief Tegric ihm nach.
    »Aus Kilvale im Kilkry-Gebiet«, antwortete der Mann.
    »Dann kanntet Ihr sicher die Fischerfrau?«, fragte Tegric mit einer Spur von Verwunderung in der Stimme.
    Der Alte blieb noch einmal stehen und wandte sich langsam zu dem Krieger um.
    »Nicht sehr gut, aber ich hörte sie sprechen, ehe man sie tötete.«
    »Seid getrost, eines Tages werden die Anhänger des Schwarzen Pfads wieder über diesen Pass marschieren«, sagte Tegric. »Aber dann werden wir nicht in den, sondern aus dem Norden marschieren. Und wir werden bis nach Kilvale und weiter ziehen.«
    Wieder ließ der Mann sein raues Lachen vernehmen. »Ihr habt recht. Sie haben uns aus der Heimat vertrieben und sogar euren Than aus seiner Burg verbannt, aber der Glaube besteht fort. Ihr und ich, wir werden es nicht erleben, mein Freund, aber eines Tages wird der Schwarze Pfad in den Herzen aller Menschen regieren und das große Ziel erreicht sein. Dieser Krieg
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