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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Autoren: Brian Ruckley
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Herdenbesitzer hätte vielleicht ein Schwein oder Kalb geschlachtet, aber vom Titelerben des Hauses Lannis-Haig wurde etwas mehr erwartet.
    »Nun, antworten wir auf den Ruf«, schlug Naradin vor und zügelte sein Pferd. »Wenn wir uns beeilen, überlassen sie mir vielleicht die Beute.«
    Orisian wandte sein Pferd. Er hatte Schwierigkeiten, den riesigen Speer anzulegen, den man ihm für die Jagd mitgegeben hatte. Der Lannis-Eberspieß war eine Waffe für einen erwachsenen Mann, und obwohl er bereits sechzehn Jahre alt war, fehlte ihm noch die Kraft, ihn so geschickt zu handhaben wie Rothe oder sein Vetter.
    »Einen Augenblick!«, rief Rothe.
    Naradin warf dem alternden Krieger einen Blick zu, der eine Spur von Ärger verriet. »Wir müssen los«, beharrte er.
    »Ich dachte, ich hätte etwas gehört, Sire«, sagte der Gardesoldat.
    Der Titelerbe schien nicht gewillt, näher darauf einzugehen, doch noch ehe er etwas erwidern konnte, gab im Süden einer der Hunde Laut. Sein Gebell verriet, dass er das Wild nicht nur gewittert, sondern bereits gesichtet und gestellt hatte.
    »Er ist näher als die anderen«, stellte Orisian fest.
    Naradin warf ihm einen kurzen Blick zu, während er darum kämpfte, sein Pferd unter Kontrolle zu bringen. Dann nickte er und gab dem Tier die Sporen. Orisian und Rothe folgten ihm.
    Der Waldboden glitt unter ihnen hinweg. Das gefallene Laub wirbelte raschelnd auf. Vögel schossen aus den Baumkronen – Krähen, die mit rauem Krächzen in den Himmel stoben. Orisian vertraute darauf, dass sein Pferd von selbst den besten Weg durch das Labyrinth der Stämme fand. Es kam aus den Ställen seines Onkels, des Thans, und verstand mehr von der Jagd als er selbst. Über dem Hufschlag und dem Krachen von Ästen vernahm er von weiter vorn das Gebell mehrerer Hunde.
    Sie fanden die Meute vor einem Dickicht aus Hasel- und Stechpalmensträuchern. Die Tiere hatten sich an der Stelle versammelt, wo das Unterholz am stärksten wucherte. Sie drängelten, schnappten in fieberhafter Erregung und sprangen manchmal auf das Gestrüpp zu, ohne sich jedoch allzu nahe heranzuwagen. Naradin stieß einen Jubelschrei aus.
    »Sie haben etwas gestellt, so viel steht fest!«, rief er atemlos.
    »Blast das Horn!«, forderte Rothe ihn auf. »Wir brauchen weitere Speere.«
    »Sie sind wahrscheinlich dem anderen Signal gefolgt. Wir können nicht warten, sonst entwischt uns die Beute.«
    Rothe fuhr sich mit den Fingern durch den dunklen Bart und wechselte einen finsteren Blick mit Orisian, der sich ebenfalls unbehaglich fühlte. Naradin neigte dazu, die Vernunft außer Acht zu lassen, wenn ihn einmal die Begeisterung für etwas gepackt hatte. Dabei waren die Eber hier in Anlane weder schwach noch sanftmütig.
    »Ihr haltet hier an«, sagte Naradin. »Gebt mir ein wenig Zeit, damit ich mich durch das Dickicht arbeiten kann. Dann könnt ihr die Hunde losschicken. Und haltet euch zurück, falls etwas auf dieser Seite hervorbricht. Dieser Fang gehört mir.«
    Er preschte los, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Der Eber bahnte sich einen Weg durch die Meute wie ein Habicht durch einen Taubenschwarm. Einige der Hunde wurden zur Seite geschleudert, die anderen sprangen hoch und ergriffen die Flucht. Das Tier war ein Koloss mit mächtigen Schultern und spitzen gelben Stoßzähnen von der Länge einer Männerhand. Es setzte einem der Hunde nach, während die anderen nach seinen Keulen schnappten.
    Naradin warf sein Pferd herum. »Lasst ihn mir!«, rief er.
    Die Spitze seines Speers richtete sich auf den Eber. Der schüttelte die Hunde ab und wandte sich dem neuen Feind zu. Er war ein alter Kämpfer, der sich die Weisheit der Wälder angeeignet hatte. Erst im allerletzten Augenblick senkte er den Schädel und stieß nach den Weichteilen des Jagdpferds. Der Spieß glitt von seiner Schulter ab und bohrte sich durch das Fell. Naradins Pferd tat einen Satz über den Kopf des Ebers hinweg. Fast wäre ihm die Flucht geglückt, doch dann schlitzte ihm ein Stoßzahn die Vorderhand auf, und es geriet auf dem weichen Boden ins Stolpern. Zwar konnte es sich auf den Beinen halten, aber Naradin wurde nach vorn geworfen. Er rutschte aus dem linken Steigbügel, hielt krampfhaft die Zügel fest und umklammerte den Pferdehals. Mit seinem Gewicht riss er dem Tier den Kopf herum. Es taumelte zur Seite und drohte zu Boden zu gehen. Der Eber griff erneut an. Die Hunde stürzten sich auf ihn, blutgierig und mit wütendem Gebell, aber zu spät.
    Orisian und Rothe
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