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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Autoren: Brian Ruckley
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sprengten Seite an Seite los. Man konnte unmöglich sagen, wer den Eber zuerst traf – Orisian, der ihm den schweren Spieß in die Hüfte rammte, oder Rothe, der zwischen die Rippen zielte. Der Aufprall schlug Orisian die Waffe aus der Hand. Rothe war besser vorbereitet. Als sein Lanzenstoß den Eber zur Seite warf, setzte der Gardesoldat sein ganzes Gewicht und das seines Pferds ein, um ihn zu Boden zu drücken. Ein paar Atemzüge lang behielt er die Oberhand, die Züge vor Anstrengung verzerrt, während das Tier sich aufbäumte und die Lanze dem Reiter zu entgleiten drohte.
    Naradin war aus dem Sattel geglitten. Er zog ein langes Jagdmesser aus dem Gürtel.
    »Schnell!«, presste Rothe hervor.
    Der Titelerbe zögerte nicht. Der Eber wandte sich dem neuen Feind zu. Seine Kiefer schnappten dicht vor Naradins Arm zusammen, als dieser ihm das Messer tief in die breite Brust stieß und das Herz fand.

    Später, als sie neben dem toten Koloss auf dem Boden kauerten und die Hunde sie aufgeregt umkreisten, lachte Naradin. Orisian sah das Leuchten in den Augen seines Vetters und lachte ebenfalls.
    »An diesen Burschen werde ich noch lange denken«, sagte Naradin. »Seht euch nur seine Stoßzähne an! Das ist ein Prachtkerl. Ein Herrscher der Wälder.«
    »Einen Augenblick lang dachte ich, es könnte eng für uns werden«, meinte Orisian.
    »Ohne euch beide wäre es eng geworden.« Naradin trank einen Schluck aus seinem Wasserschlauch, ehe er sich etwas von dem Nass über die Hände goss, um sie vom Blut des Ebers zu reinigen. Dann reichte er den Schlauch an Orisian weiter. Das Wasser, erst vor einer oder zwei Stunden aus einer Waldquelle geschöpft, war kalt und frisch und schmeckte nach der klaren Kühle eines Herbstmorgens.
    »Das Glück hat uns den ganzen Tag über begleitet«, erklärte Rothe. Der Krieger maßte sich nicht an, den Titelerben zu tadeln, weil er einen alten Eber mit zu wenigen Hunden und nur drei Speeren angegriffen hatte, aber Orisian kannte ihn lange genug – Rothe war nun seit sechs Jahren sein Lehrmeister und Leibwächter –, um die unausgesprochene Kritik aus seinen Worten herauszuhören.
    »Wir sollten die anderen herbeirufen«, schlug Orisian vor. »Sie werden staunen, was wir da erlegt haben.«
    »Gleich, gleich.« Naradin erhob sich. Er scheuchte die Hunde weg, die ihn umkreisten, schlenderte zu dem toten Eber hinüber und ging in die Hocke. Beinahe ehrfürchtig legte er eine Hand auf dessen Flanke. Dann stutzte er.
    »Seht euch das an! Da ist noch eine Wunde. Die stammt aber nicht von uns, oder?«
    Rothe und Orisian kauerten neben ihm nieder. In der Seite des Ebers, dicht hinter der Schulter, war ein Loch zu erkennen. An den drahtigen Haaren in der Umgebung der Verletzung klebte Blut. Rothe zerbröckelte etwas von der angetrockneten Masse zwischen den Fingern.
    »Ein bis zwei Tage alt, würde ich sagen.«
    »Ich wunderte mich schon, dass er nicht zu fliehen versuchte, sondern den Kampf aufnahm«, meinte Naradin nachdenklich.
    Orisian beugte sich dichter über das tote Tier. Er sah, dass ein Fremdkörper in der Wunde steckte. Mit einem Messer stocherte er in der Öffnung herum, bis er auf Widerstand stieß. Er drehte die Klinge so lange hin und her, bis er den Gegenstand nach oben schieben konnte und zu fassen bekam. Es war eine Pfeilspitze, schlank und flach.
    »Die ist ziemlich tief eingedrungen«, befand er.
    »Kann ich einmal sehen?«, fragte Rothe. Als Orisian nickte, hielt er das kleine Metallstück hoch und betrachtete es lange. Seine runzligen Handrücken verrieten, dass er allmählich alt wurde, aber sein Griff war fest und sicher.
    Naradin wirkte ein wenig enttäuscht. »Es ist nicht ganz dasselbe, wenn man weiß, dass er schon angeschossen war«, sagte er.
    Rothe reichte Orisian die Pfeilspitze zurück.
    »Das Ding stammt von einem Kyrinin-Pfeil«, erklärte er. »Solche Spitzen verwenden nur die Waldelfen.«
    »Waldelfen hier auf der Jagd?« Naradins Stimme klang verblüfft.
    Rothe nickte nur. Seine Blicke wanderten über die stummen Bäume und versuchten das unbewegte Unterholz zu durchdringen. Mit ernster Miene richtete er sich auf.
    »Die Schleiereulen sorgen seit einem Jahr für Ärger in dieser Gegend, nicht wahr?«, fragte Orisian seinen Vetter.
    »Ja, aber wir sind keinen Tagesritt von Anduran entfernt. Sie würden sich niemals so nahe an die Festung heranwagen.« Naradin untersuchte die Pfeilspitze ebenfalls. »Er hat allerdings recht. Das ist eindeutig eine
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