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1490 - Das Rätsel der Leichenvögel

1490 - Das Rätsel der Leichenvögel

Titel: 1490 - Das Rätsel der Leichenvögel
Autoren: Jason Dark
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Der Mann war damit beschäftigt rote und weiße Weihnachtssterne auf Paletten zu stapeln, die ein Mitarbeiter mit einem Gabelstapler morgen am Montag abholen würde. Heute hatten seine Leute frei.
    Es war auch die letzte Fuhre, die vor Weihnachten noch raus musste, dann war es mit den Weihnachtssternen vorbei, und er konnte wieder bis zum nächsten Jahr warten.
    Zuerst hatte ihn der schwarze Vogel ja nicht gestört. Das änderte sich, je mehr Zeit verging und die Krähe immer frecher wurde. Sie hüpfte in seiner Nähe herum. Er hörte ihr Krächzen und hatte das Gefühl, als wollte sie mit ihm in ihrer Vogelsprache reden, was natürlich Unsinn war.
    Wells packte seine Weihnachtssterne je zwei auf einmal und hob sie auf die Palette. Er musste schon sehr genau schauen, um noch einen freien Platz zu finden. Zudem sollten die Gewächse nicht zu sehr gedrückt werden, das tat ihnen nicht gut.
    Alles lief glatt, wäre nicht der Vogel gewesen. Sein Geflatter klang viel lauter als zu Beginn. Es lag daran, dass sich das Tier immer näher an den sitzenden Mann heranwagte und plötzlich auf die Palette flog und dort sitzen blieb. Er fand in einer bestimmten Höhe Platz auf einer freien Fläche am äußeren Holzrand. Und er traf keinerlei Anstalten, sich wieder zu entfernen, auch nicht, als Wells zwei Weihnachtssterne in seiner Nähe abstellte.
    »Hau endlich ab, du verdammtes Vieh!«
    Den Vogel kümmerte es nicht.
    Wells trat wütend mit dem rechten Fuß auf. Er wollte das Tier erschrecken, das sich überhaupt nichts anmerken ließ und einfach sitzen blieb.
    Die Krähe hockte zum Greifen nah vor ihm. Der Mann hätte nur die Hand auszustrecken brauchen, um sie zu greifen, doch genau das traute er sich nicht. Er schaute den Vogel an, er sah den leicht gebogenen Schnabel und richtete seinen Blick auf die Augen.
    Elliot Wells erstarrte.
    »Nein«, flüsterte er, »nein – das kann nicht wahr sein. Da muss ich mich täuschen.«
    Aber es war kein Irrtum.
    Er schnappte nach Luft. Sein Herz schlug nicht nur schneller, es raste schon. Dafür gab es einen einfachen Grund. Dieser Vogel hatte keine normalen Augen, es waren tatsächlich die Augen eines Menschen. Nur war das nicht alles.
    Elliot Wells kannte den Blick oder die Augen.
    Sie gehörten seinem toten Vater!
    ***
    Der Mann erlebte eine Zeitspanne wie nie zuvor in seinem Leben. So etwas hatte er noch nie gesehen. Er hatte nicht mal daran gedacht, dass es dies geben könnte. Wie vor den Kopf geschlagen stand er da und schaute in die Vogelaugen.
    Nein, Menschenaugen!
    »Das ist nicht wahr!« flüsterte er. »Verdammt noch mal, das kann nicht stimmen…«
    Elliot wollte den Kopf zur Seite drehen, was er nicht schaffte. Der Kopf des Vogels zog ihn in seinen Bann, und da waren es die Augen, deren starrer Blick ihn nicht loslassen wollte.
    Braune Augen. Gesprenkelte Pupillen. Solche Augen hatte auch sein Vater gehabt. Aber der lebte nicht mehr. Er hatte sich selbst umgebracht, ebenso wie seine Frau.
    Und jetzt…?
    Elliot Wells hörte sich stöhnen. Er fing an zu zittern, und er traute sich nicht, seinen Arm nach vorn zu strecken, um den Vogel zu berühren. Er fürchtete sich davor, dass die Krähe mit den menschlichen Augen plötzlich zubacken konnte.
    Wells wich zurück. Nicht sehr weit, aber ein wenig Abstand zu halten, war schon besser. Er konnte sich leicht vorstellen, dass der Vogel ihn plötzlich angriff. Schnabelhiebe konnten üble Verletzungen verursachen.
    Auf die Frage, wie er sich verhalten sollte, wusste er keine Antwort. Er konnte alles auf sich beruhen lassen und von einer Täuschung sprechen, aber irgendwie war das nicht der richtige Weg.
    Der Selbstmord seines Vaters war für ihn nur schwer zu verkraften gewesen, und nun musste er etwas erleben, das unglaublich und nicht zu erklären war.
    Eine menschliche Seele hatte ihren Platz im Körper eines Vogels gefunden und hatte ihn übernommen.
    Er stöhnte auf. Die Gärtnerei gehörte ihm, dem Jungen. Er hatte sie nach dem Tod seines Vaters übernommen und auch gut in den Griff bekommen. Es war zwar viel Arbeit, aber Elliot konnte von seinen Einkünften gut leben. An die Vergangenheit, so schlimm sie auch war, hatte er nie mehr gedacht. Für ihn waren sein Vater und auch seine Mutter, die noch vor dem Selbstmord des Vaters einfach verschwunden war, auch in der Erinnerung gestorben.
    Dieser Anblick allerdings wühlte ihn auf. Da hatte er das Gefühl, als wäre sein verstorbener Vater erschienen, um ihn zu besuchen.
    Elliot
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