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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Tatzeit über achtzehn Jahre. Einer von ihnen ist Vater einer zweijährigen Tochter. Mit achtzehn sollte man die volle Verantwortung für sein Handeln tragen. Richter Salm ist mir in diesem Punkt gefolgt. Wie Sie wissen, nicht nur in diesem.«
    »Brauchen Sie diese Härte? Als Frau?«
    »Kein Kommentar.«
    »Missbrauchen Sie nicht Angeklagte für Ihre Karriere?«
    »Kein Kommentar.«
    Jost versuchte sie zu reizen. War ihm eigentlich nicht klar, mit welchen Typen sie es im Gerichtssaal zu tun hatte? Sie verfolgten sie nicht nur mit Blicken. Wenn niemand hinsah, hoben sie unmerklich den Mittelfinger oder ließen die Zunge zwischen den Lippen auf- und abschnellen. Das war noch harmlos. Immer wieder wurden ihre Reifen zerstochen. Es gab Anrufe, obwohl sie die Geheimnummer öfter wechselte als diese Typen ihre Unterhosen. Nein, sie hatte keine Angst. Zu einer wahren Bestimmung gehörte, dass man dafür durchs Feuer ging.
    »Gibt es eine Fangquote? Kopfgeld für jede Verurteilung?« Josts Stimme klang wie die eines CNN-Reporters. Er schrie, als müsste er Panzerlärm übertönen. Er war einfach zum Kotzen. Allein schon sein Glatzkopf. Die beiden rasierten Schädel im Gerichtssaal heute reichten ihr völlig.
    »Das Kopfgeld bekommen doch Sie! Ihr Jagdinstinkt wird durch Prämien geweckt.« Sie versuchte erneut, an ihm vorbeizukommen, aber er ließ nicht locker.
    »Und Sie glauben nicht, dass das harte Urteil die Sache nur aufpuscht und damit den Neonazis Aufwind gibt?«
    »Allein für die Tatsache, dass die beiden in der S-Bahn ›Sieg Heil‹ gerufen haben, kann eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verhängt werden. Paragraph 86 a, wenn Sie es nachlesen wollen.« Langsam verlor sie die Geduld.
    »Die Jugendlichen waren betrunken. Das Ganze war nach einem Spiel der Eintracht gegen Schalke. Das Frankfurt gewonnen hat. Wenn das kein Grund für mildernde Umstände ist.«
    Tatsächlich lachten einige seiner Kollegen.
    Sie biss die Zähne zusammen vor Wut. Bald würde sie nicht nur eine falsche Brille, sondern auch falsche Zähne tragen müssen. Weil sie ihre eigenen durchgebissen hatte.
    »Sie waren doch in der Verhandlung!«, sagte sie. »Sie haben gehört, wie die Geschichte endete! Arman Bazman ist aufgestanden, um die drei zu bitten, das nazistische Gegröle zu unterlassen! Daraufhin haben sie ihn getreten. Mehrfach. Zwischen die Beine. Wollen Sie die Fotos aus dem rechtsmedizinischen Gutachten sehen? Das Gesicht, in das sie mit den Fäusten geschlagen haben? Wollen Sie es sehen? Zeigen Sie das doch einmal in Ihrer Sendung.« Bevor Myriam das Risiko einging, die Kontrolle zu verlieren, legte sie eine Kunstpause ein, zählte innerlich bis zehn, um sich zu beruhigen. »Dann haben sie ihn aus der fahrenden S-Bahn geworfen, verstehen Sie … im Tunnel … zwischen Galluswarte und Hauptwache. Die Kopfverletzungen … wollen Sie das auch noch wissen? Ja, Sie wollen es wissen, denn Sie brauchen ja Material. Arman Bazmann erlitt so starke Kopfverletzungen, als er gegen die Mauer geschleudert wurde, dass … nein, ich schone Sie. Sie sind ja jetzt schon ganz blass.«
    Myriam drängte sich an ihm vorbei. So einer wie Jost war ihr natürlicher Feind. Er wollte nach den Gesetzen des Dschungels leben, war aber der Erste, der sich beschwerte, wenn die Deutsche Bahn Verspätung hatte.
    Am Eingangsportal wandte sie sich noch einmal zu ihm um.»Sie sollten nicht Schwarz tragen, wenn Sie die Wahrheit nicht verkraften. Es bekommt Ihrem Teint nicht.«
    Einige der Journalisten, die um sie herumstanden, lachten.
    Der Weg zur Kennedyallee führte mitten durch die Stadt, und auf der Friedensbrücke, der wichtigsten Verbindung zwischen der City und Sachsenhausen, kam der Verkehr ins Stocken, weil die Schneedecke auf der Fahrbahn zahlreiche Autos mit Sommerreifen ins Rutschen gebracht hatte. Myriam war kurz davor, sich über die Ignoranz und Unfähigkeit von Autofahrern aufzuregen, als der Verkehr wieder zum Laufen kam. Dennoch erreichte sie die Villa später als geplant und konnte nur hoffen, dass der Gerichtsmediziner Henning Veit den Tatort noch nicht verlassen hatte.
    Als sie die Wagentür öffnete, fiel ihr auf, dass sie noch immer die schwarze Robe trug. Sie zog sie aus und verstaute sie sorgfältig auf dem Rücksitz. Beim Aussteigen dachte sie, dass die extravaganten grünen Stiefel für dieses Wetter völlig ungeeignet waren. Dann bemerkte sie den Kratzer im Lack des roten Chryslers. Er reichte von der Fahrertür bis nach hinten zum
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