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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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dich zu verlassen.« Und dann packte er eines Tages die Koffer, um zu einer Krankenschwester zu ziehen, weil sie schwanger von ihm war. Monatelang hatte er Myriam betrogen, ohne dass sie etwas bemerkte. Schwanger! Mein Gott, sie war tatsächlich in das Klischee getappt wie in einen riesigen Kuhfladen.
    »Hey«, hörte sie Liebler rufen. »Sind Sie noch in der Lei-tung?«
    »Was ist mit Fischer? Ist er schon hier?«, versuchte sie sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.
    »Sie wissen doch. Die Zwillinge.«
    Überall Kinder, dachte Myriam, überall wo man hinsieht, vermehren sich alle.
    »Warum hat er nicht gleich Erziehungsurlaub genom-men?«
    »Berit verdient als freischaffende Künstlerin nicht so viel wie er als Beamter. Wenn man da überhaupt von viel sprechen kann. Zwillinge sind ja in der Anschaffung billig, aber im Unterhalt … Übrigens geht es hier entlang!«
    Liebler drehte sich um und ging mit diesem leicht wankenden Gang, der an einen Pinguin erinnerte, voraus. Nur dass der Pinguin nicht Frack, sondern Jeans und unter der Lederjacke ein orangefarbenes Sweatshirt trug.
    »Das Ganze hat sich im Wohnzimmer, oder besser im Salon, wie die Haushälterin es nennt, abgespielt«, erklärte er über die Schulter gewandt.
    »Wie ist Ihre erste Einschätzung?«
    »Tja, da ist irgendeine Geschichte gelaufen.«
    »Geht es auch genauer?«
    »Genauer können Sie es haben, wenn der Fall gelöst ist.«
    Der so genannte Salon, der von dunklen Regalen in Deckenhöhe dominiert wurde, hatte mehr als fünfzig Quadrat-meter. Doch es war nicht nur die Größe, die ihn kalt erscheinen ließ. Daran hatte auch die Terrassentür Schuld, die offen stand, außerdem waren alle Wände kahl.
    »Was ist mit den Bildern?«
    »Er hat sie abgenommen.« Liebler deutete nach rechts. »Sie stehen hier am Flügel.«
    Bei Myriams Eltern hatte Kunst nur in Form von Kalenderblättern hinter billigen Rahmen stattgefunden. Dürers »Betende Hände« und »Der Hase«. Das war es. Hier aber standen aufgereiht Porträts in Öl von Chopin und seiner Familie. Sie erinnerte sich, dass Denise sie ihr einmal gezeigt hatte.
    Was das Chaos in dem Raum betraf, konnte Myriam nur hoffen, dass es nicht die Spurensicherung verursacht hatte. Sämtliche Schranktüren waren aufgerissen, Regalbretter mit Büchern zu Boden gestürzt, Schubladen hingen in den Angeln. Fast wäre sie über eine zerbrochene Schallplatte, die am Boden lag, gestolpert. Artur Rubinstein, Chopins Balladen.
    »Was ist denn hier passiert?«, wandte sie sich an Liebler.
    »So sieht es im ganzen Haus aus, sogar im Dachgeschoss. Entweder hat jemand etwas gesucht, oder er hatte eine Scheißwut. Vermutlich beides.«
    »Was wollte er denn finden? Geld?«
    »Hinter Dachbalken?«
    In dem Durcheinander hätte Myriam fast die klein gewachsene, weißhaarige Frau übersehen, die zusammengesunken auf dem abgewetzten Ledersessel vor dem Kamin saß. Sofort erkannte sie die Haushälterin wieder, die für Denise’ Eltern gearbeitet und so gut wie zur Familie gehört hatte. Doch nichts in dem vom Weinen verquollenen Gesicht verriet, ob sie Myriam wiedererkannte.
    »Josefa Hirschbach«, stellte Liebler sie vor.»Sie hat die Tote gefunden, als sie heute Morgen gegen halb elf Uhr kam.«
    Myriam reichte ihr die Hand.
    »Ich kann es nicht glauben. Ich bin gestern Abend wie immer gegen acht Uhr gegangen und heute …«
    Frau Hirschbach presste ein zusammengeknülltes Taschentuch auf die Augen. Eigentlich müssten die Tränensäcke bereits leer sein, so wie sie erneut in Schluchzen ausbrach.
    Für die Trauer der alten Frau gab es keinen Trost. Dafür das dringende Bedürfnis nach einer Zigarette. Das Jahr war erst zwanzig Tage alt. Myriams Vorsätze ebenfalls.
    Sie starrte Richtung Terrasse, wo sie die zahlreichen Beamten der Spurensicherung bemerkte. In ihren weißen Anzügen liefen sie durch den Garten wie lebende Schneemänner.
    »Dort draußen?«
    Liebler nickte. »Ja, die Leiche lag die ganze Nacht im Freien. Henning, ich meine Dr. Veit, der Gerichtsmediziner …«
    »Ich weiß, wer Dr. Veit ist. Um wen handelt es sich bei der Leiche?« Besser, Myriam war vorbereitet. War es Denise, die dort draußen lag?
    »Henriette Winkler, die Seniorchefin der Firma Winklerbau. Sie wissen schon, das Bauunternehmen in Frankfurt, das …«
    Myriam unterbrach Liebler mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Ich kenne die Familie. Denise, die Enkelin, ist mit mir zur Schule gegangen.«
    Das Erste, das Myriam registrierte, war ein
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