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Auch keine Tränen aus Kristall

Auch keine Tränen aus Kristall

Titel: Auch keine Tränen aus Kristall
Autoren: Alan Dean Foster
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EINS
    Es ist hart, eine Larve zu sein. Zuerst ist da gar nichts. Und dann wächst aus dem Nichts ganz langsam und stufenweise ein unbestimmtes, unsicheres Bewusstsein heran. Die Wahrnehmung der Welt stellt sich nicht als ein Schock ein, sondern als eine graue Unvermeidbarkeit. Die Larve kann sich nicht bewegen, kann nicht sprechen. Aber denken kann sie.
    Seine ersten Erinnerungen befassten sich ganz natürlich mit dem Pflegehort: einer kühlen, schwach beleuchteten Kammer kontrollierter Bewegung und beträchtlichen Lärms. Unter der sanft gewölbten Decke unterhielten sich Erwachsene mit seinen Mitlarven. Und mit der Wahrnehmung seiner Umgebung stellte sich das Erkennen des Ichs und eines Körpers ein: einer knotigen, eineinhalb Meter langen zylindrischen Masse aus fleckigweißem Fleisch.
    Durch einfache, noch nicht vollkommene Larvenaugen nahm er hungrig die beschränkte Welt in sich auf. Erwachsene, Geräte, Wände, Decke und Boden. Seine Gefährten, die Krippe, in der er lag. Und alles das war weiß und schwarz oder ein Grauton dazwischen. Das war alles, was er wahrnehmen konnte. Farbe war ein geheimnisvolles, unvorstellbares Reich, zu dem nur Erwachsene Zugang hatten. Von all den Fremdartigkeiten der Existenz beschäftigte ihn am meisten der Gedanke, was wohl blau, was gelb sein mochte - der Geschmack des ihm vorenthaltenen Spektrums.
    Die Erwachsenen, die den Pflegehort verwalteten und sich um die Jungen kümmerten, waren darin geübt. Sie hatten von Generationen von Jungen dieselben Fragen gehört, Fragen in derselben Reihenfolge, die immer wieder gestellt wurden. Und doch waren sie stets geduldig und höflich. Und so gaben sie sich redlich Mühe, ihm zu erklären, was Farbe sei. Die Worte hatten keine Bedeutung, weil es keine Bezugspunkte gab, keine geistigen Landmarken, auf die sich eine Larve beziehen konnte. Es war so, als versuchte man die Sonne zu beschreiben, die die Oberfläche des Planeten erwärmte, hoch, ganz hoch oberhalb des unterirdischen Pflegehorts. In seiner Vorstellung war die Sonne ein hell leuchtendes Etwas, das ein intensives Fehlen von Dunkelheit produzierte.
    Er wuchs heran, und die Helfer ließen zu, dass er sich in seiner primitiven, sich aufbäumenden wurmähnlichen Art und Weise bewegte. Pfleger bewegten sich geschäftig in dem Hort, geschäftige Erwachsene, denen die Gabe echter Beweglichkeit verliehen war.
    Lehrmaschinen murmelten den Lernbegierigen ihre endlosen Litaneien zu. Gelegentlich kamen auch andere Erwachsene zu Besuch, darunter auch ein Paar, das sich ihm gegenüber als seine eigenen Eltern identifizierte.
    Er verglich sie mit seinen Gefährten, die wie er unruhige weiße Massen waren, die in stumpfen, schwarzen Augen und dünnen Mundschlitzen endeten. Wie er die Erwachsenen doch um ihre sauberen Linien und ihre reifen Körper beneidete, die vier kräftigen Beine, die Fußarme darüber, die entweder als Hände oder als drittes Beinpaar dienten, und die zarten Echthände darüber.
    Und echte Augen hatten sie auch, die Erwachsenen. Große, aus vielen Facetten zusammengesetzte Augen, die wie eine Ansammlung strahlender Juwelen leuchteten (für ihn in hellem Grau, obwohl er wusste, dass sie orange und rot und golden waren, was auch immer das sein mochte). Sie waren seitlich an den glänzenden, herzförmigen Köpfen angeordnet, an denen ein Paar federartiger Antennen wippte, völlig weiß. Die Antennen faszinierten ihn ebenso wie all seine Gefährten. Die Erwachsenen pflegten ihnen zu erklären, dass diese Antennen für zwei Sinne zuständig waren: den Geruchssinn und den Fazz-Sinn.
    Das Fazzen verstand er; die Fähigkeit nämlich, die Anwesenheit bewegter Gegenstände durch Wahrnehmung der Luftverdrängung zu entdecken. Aber was man unter ›Geruch‹ verstand, blieb ihm völlig verschlossen, ebenso wie Farbe. Und so kam es, dass er sich außer Armen und Beinen auch verzweifelt Antennen wünschte. Er sehnte sich verzweifelt danach, komplett zu sein.
    Die Pfleger waren geduldig und hatten volles Verständnis für derartiges Sehnen. Antennen und Glieder würden mit der Zeit kommen. Und bis dahin gab es viel zu lernen.
    Sie lehrten ihn Sprache, obwohl Larven höchstens zu einem primitiven Keuchen und Stöhnen fähig waren, mehr konnten sie mit ihren flexiblen Mundteilen nicht zustandebringen. Es bedurfte harter Kiefer und ausgewachsener Lungen und Kehlen, um die eleganten Klick- und Pfeiftöne zu erzeugen, in denen sich Erwachsene miteinander verständigten.
    Aber immerhin konnte
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