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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Kofferraum und war so breit und tief, dass das Grau der Karosserie zum Vorschein kam.
    Verflucht, das Auto war gerade erst drei Monate alt.
    Es tat weh. Idioten taten verdammt weh. Doch angesichts dessen, was sie hier erwartete, hatte sie keine Zeit, sich über einen Kratzer aufzuregen.
    Die Villa mit den hohen weißen Fenstern und der zweiflügeligen Eingangstür lag auf einem Grundstück von circa tau-send Quadratmetern. Wie durch ein Wunder hatte das Gebäude den letzten Krieg überstanden und würde es vermutlich auch die nächsten hundert Jahre. Tatsächlich hatte sich seit ihrem letzten Besuch von außen nichts verändert. Nur war das ehemalige Rosé des Anstrichs zu einem lachsfarbigen Farbton verblasst. Schon von weitem sah Myriam durch das Fenster links den Kronleuchter mit den handgeschliffenen Bleikristallen. Das Wohnzimmer, erinnerte sie sich.
    Was erwartete sie hier? Wem würde sie begegnen? Denise? Sie war auf diese Begegnung nicht vorbereitet und hatte keine Ahnung, was sie ihrer ehemaligen Schulfreundin sagen sollte. Nein, sie hatte es nicht eilig, das Haus zu betreten, und ging daher nur langsam den Kiesweg hoch.
    Eine junge Frau in weißem Plastikoverall beugte sich über die Haustür. Die Spurensicherung gehörte einer anderen Spezies an als Juristen. Das akribische Sammeln von Spuren, die Konzentration auf noch so kleine Details entsprang einem Urinstinkt, vergleichbar mit dem stoischen Hämmern eines Spechtes auf Holz.
    Sie blieb stehen und reichte der jungen Beamtin, die sie um einen Kopf überragte, die Hand. »Myriam Singer, zuständige Staatsanwältin. Haben Sie schon etwas?«
    »Katja Weiss.«
    Myriam schaute in ein junges, mit Sommersprossen übersätes Gesicht, das von einer avantgardistisch geschnittenen Frisur aus drahtigen roten Haaren umrahmte wurde, ein Gesicht, das sie aufatmen ließ, weil es Energie versprach und Engagement für die Sache.
    Katja Weiss lachte kurz auf. »Spuren? Wir haben so viele, dass wir mit Sicherheit Überstunden machen müssen. Was in dem Typen vorgegangen ist, würde mich wirklich interessieren. Entweder ein Täter aus Überzeugung oder einfach ein Idiot. Noch nie habe ich einen Tatort gesehen, an dem jemand so wenig versucht hat, Spuren zu verwischen.«
    Mit dieser Antwort hatte Myriam nicht gerechnet.
    Als sie den Flur betrat, wurde ihr Herzschlag schneller. Wann war sie das letzte Mal hier gewesen? Zu Denise achtzehnten Geburtstag am 3. Juli. Sechs Wochen vorher war die Sache mit Mike passiert. Doch nichts hatte sich in diesem Haus verändert. Alles war noch so wie vor zehn Jahren. Dieselben Fliesen, dieselben Möbel, dieselben Bilder. Sogar der Geruch war noch der gleiche. Denise’ Großmutter sammelte Porträts von Musikern. Über der Louis-Seize-Kommode hing das Profil von Richard Wagner mit der martialischen Ausstrahlung großformatiger Schlachtenmalerei.
    »Vermutlich direkt aus Bayreuth!«, hörte sie jemanden hinter sich sagen. Erschrocken drehte sie sich um. Vor ihr stand Henri Liebler mit dem für ihn typischen Grinsen, das sie immer wieder irritierte.
    Hatte der Hauptkommissar abgenommen? Ausgerechnet er, der Rotwein für ein Grundnahrungsmittel hielt und dessen einziger Sport neben Angeln es war, die Spiele der Eintracht im Waldstadion zu verfolgen.
    Seit der Weihnachtsfeier im Polizeipräsidium hatte Myriam ihn nicht mehr getroffen. Wie damals, nein, sie hatte es nicht vergessen, fühlte sie auch jetzt seine jeansblauen Augen direkt auf sich gerichtet. Dieser Blick, der stets eine Spur von Spott enthielt.
    Auch die Frisur hatte er geändert. Statt der ewig zerzausten blonden Haare trug er sie jetzt länger, sodass er jünger wirkte. Myriam musste zugeben, dass er durch diese Veränderungen gewann. Was war mit ihm los? War er verliebt? Dieser Gedanke versetzte Myriam einen Stromschlag, den sie sich nicht anders erklären konnte, als dass sie einfach neidisch war. Sie wünschte ihren Mitmenschen, Gott war ihr Zeuge, nur das Beste. Aber nicht in der Liebe. Warum sollte sie großherzig sein? Wenn ihre eigenen Beziehungen zum Scheitern verurteilt waren? Wie bei Thomas, mit dem die Beziehung nicht länger als zwei Jahre gehalten hatte. Ihr Ziel aber war lebenslänglich, keine Bewährungsstrafe.
    Vierundzwanzig Monate lang hatte Thomas erklärt, auf keinen Fall heiraten zu wollen. Und schon gar keine Kinder. »Damit das von Anfang an klar ist«, betonte er bereits am ersten Abend. »Der Satz ›Ich will ein Kind von dir‹ brächte mich sofort dazu,
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