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Die Mutter der Königin (German Edition)

Die Mutter der Königin (German Edition)

Titel: Die Mutter der Königin (German Edition)
Autoren: Philippa Gregory
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    Burg Beaurevoir in der Nähe von Arras
SOMMER–WINTER 1430
    W ie ein braves Kind sitzt diese seltsame Kriegstrophäe auf einem kleinen Hocker in der Ecke ihrer Zelle. Im Stroh zu ihren Füßen liegen auf einer Zinnplatte die Überreste des Abendessens. Mein Onkel hat ihr gutes Fleisch schicken lassen und sogar das weiße Brot von seinem Tisch, doch sie hat es kaum angerührt. Ich starre sie an – die Reitstiefel, die Männerkappe, die sie auf dem kurzen braunen Haar trägt –, als sei sie ein exotisches Tier, zu unserer Kurzweil in Gefangenschaft gehalten, als hätte jemand ein Löwenjunges aus dem fernen Äthiopien geschickt, um die große Familie von Luxemburg zu unterhalten und unsere Sammlung zu bereichern. Hinter mir bekreuzigt sich eine Dame und flüstert: «Ist sie eine Hexe?»
    Ich weiß es nicht. Woher soll man so etwas wissen?
    «Das ist lächerlich», sagt meine Großtante energisch. «Auf wessen Befehl ist das Mädchen angekettet? Öffnet augenblicklich die Tür.»
    Unter den Männern erhebt sich Gemurmel, jeder möchte die Verantwortung auf den anderen schieben, aber dann dreht einer den großen Schlüssel in der Zellentür herum, und meine Großtante stolziert hinein. Die junge Frau – sie muss ungefähr siebzehn oder achtzehn sein, nur ein paar Jahre älter als ich – sieht sie unter den kurzen Haarsträhnen hervor an, dann steht sie langsam auf, lüftet die Kappe und macht einen linkischen Diener.
    «Ich bin Madame Jehanne, die Demoiselle von Luxemburg», sagt meine Großtante. «Wir sind auf der Burg des Herrn Johann von Luxemburg.» Sie deutet auf meine Tante. «Dies ist seine Gemahlin, die Herrin der Burg, Jehanne von Bethune, und das hier ist meine Großnichte Jacquetta.»
    Die Gefangene sieht uns alle gefasst an und nickt uns der Reihe nach zu. Als ihr Blick auf mich fällt, spüre ich ihn wie eine Berührung, wie einen Lufthauch im Nacken, wie das Flüstern eines Zaubers, so aufmerksam ist sie. Ich frage mich, ob hinter ihr wirklich zwei Engel stehen, wie sie behauptet, und ob es deren Anwesenheit ist, die ich spüre.
    «Kannst du sprechen, Mädchen?», fragt meine Großtante, als sie nichts sagt.
    «O ja, meine Dame», antwortet sie in dem harten Akzent der Champagne. Es ist also wahr, was man sich über sie erzählt: Sie ist nur eine Bauerntochter, auch wenn sie eine Armee angeführt und einen König gekrönt hat.
    «Gibst du mir dein Wort, dass du nicht fliehst, wenn ich dich von diesen Fußketten befreien lasse?»
    Sie zögert, als sei sie in der Lage zu wählen. «Nein, das kann ich nicht.»
    Meine Großtante lächelt. «Verstehst du mein Angebot? Ich will dir die Haft erleichtern. Ich kann dir die Freiheit geben, hier mit uns auf der Burg meines Neffen zu leben, aber du musst mir versprechen, nicht wegzulaufen.»
    Die Gefangene wendet stirnrunzelnd das Gesicht ab – fast, als lauschte sie einem Rat, dann schüttelt sie den Kopf. «Ich weiß, was eine Hafterleichterung ist. Was ein Ritter dem anderen verspricht. Sie haben Regeln wie beim Tjosten. Aber ich bin nicht so wie sie. Meine Worte sind richtige Worte, nicht wie das Gedicht eines Troubadours. Und für mich ist dies kein Spiel.»
    «Jungfer, Hafterleichterung ist kein Spiel!», unterbricht meine Großtante Jehanne sie.
    Das Mädchen sieht sie an. «Doch, meine Dame. Adlige Herren nehmen diese Dinge nicht ernst. Nicht so ernst wie ich. Sie spielen Krieg und geben sich selbst die Regeln. Sie reiten aus und verwüsten das Land guter Leute, und wenn die strohgedeckten Dächer brennen, lachen sie. Außerdem kann ich nichts versprechen. Ich bin bereits versprochen.»
    «Dem, der sich fälschlicherweise König von Frankreich nennt?»
    «Dem König des Himmels.»
    Meine Großtante überlegt einen Augenblick. «Ich trage ihnen auf, dir die Ketten abzunehmen und dich zu bewachen, damit du nicht fliehen kannst, dann kannst du uns in meinem Gemach Gesellschaft leisten. Was du für dein Land und für deinen König getan hast, war großartig, Johanna, wenn auch verblendet. Und ich dulde nicht, dass du unter meinem Dach als Gefangene in Ketten gehalten wirst.»
    «Werdet Ihr Eurem Neffen sagen, er soll mich freilassen?»
    Meine Großtante zögert. «Ich kann ihm nichts befehlen, aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit du wieder nach Hause kannst. Auf keinen Fall werde ich zulassen, dass er dich den Engländern ausliefert.»
    Bei diesem Wort schaudert Johanna und bekreuzigt sich, schlägt sich auf
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