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Die Mutter der Königin (German Edition)

Die Mutter der Königin (German Edition)

Titel: Die Mutter der Königin (German Edition)
Autoren: Philippa Gregory
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zurück. Obwohl sie vorsichtig ist und meine Hände offen ausgestreckt sind, fällt eine der Karten mit dem Bild nach unten ins Gras.
    «Oh, Entschuldigung!», ruft Johanna und hebt sie schnell auf.
    Ich höre ein Flüstern, und ein kühler Atem fährt mir den Rücken hinab. Die Wiese mit den Kühen, die im Schatten des Baumes dösen, scheint in weite Ferne gerückt, als wären wir beide hinter Glas, Schmetterlinge in einer transparenten Kugel, in einer anderen Welt. «Jetzt kannst du sie dir auch anschauen», höre ich mich sagen.
    Mit weit aufgerissenen Augen betrachtet Johanna das bunte Bild, dann zeigt sie es mir. «Was hat das zu bedeuten?»
    Es ist das Bildnis eines Mannes in einer blauen Livree, der kopfüber an einem ausgestreckten Bein hängt, während das andere leicht gekrümmt ist, die Zehen gestreckt und gegen das gerade Bein gedrückt, als würde er in der Luft tanzen. Die Hände hält er hinter dem Rücken, als wollte er sich verbeugen. Wir sehen beide, mit welchem Schwung sein blaues Haar herabfällt und wie glücklich er lächelt.
    « Le Pendu », liest Elizabeth. «Wie grässlich. Was bedeutet das? Oh, gewiss hat es doch nicht zu bedeuten, dass …» Sie unterbricht sich.
    «Es bedeutet nicht, dass du gehängt wirst», sage ich schnell zu Johanna. «Bitte denk so etwas nicht. Es ist nur eine Spielkarte, die nichts zu sagen hat.»
    «Aber was bedeutet die Karte?», will das andere Mädchen wissen, obwohl Johanna still ist, als sei es nicht ihre Karte, nicht ihr Schicksal, das ich nicht deuten will.
    «Zwei Bäume bilden seinen Galgen», erkläre ich. Unter Johannas ernstem, dunklem Blick spiele ich auf Zeit. «Das deutet auf Frühling und Erneuerung des Lebens – nicht auf Tod. Der Mann hängt zwischen zwei Bäumen im Gleichgewicht. Er ist der Mittelpunkt der Wiederauferstehung.»
    Johanna nickt.
    «Die Bäume biegen sich zu ihm herab, er ist glücklich. Und sieh mal: Er ist nicht am Hals aufgehängt worden, um zu sterben, sondern an den Füßen», fahre ich fort. «Wenn er wollte, könnte er sich aufbäumen und sich losbinden. Wenn er wollte, könnte er sich befreien.»
    «Aber er befreit sich nicht», bemerkt das Mädchen. «Er gleicht einem Stehaufmännchen, einem Akrobaten. Was soll das?»
    «Er ist freiwillig dort, er wartet. Er hat nichts dagegen, am Fuß aufgehängt zu werden und in der Luft zu hängen.»
    «Als lebendiges Opfer?», fragt Johanna langsam, die Worte aus der Messe wählend.
    «Er wird nicht gekreuzigt», betone ich schnell. Als würde uns jedes Wort, das ich sage, zu einer anderen Todesart führen. «Das hat gar nichts zu bedeuten.»
    «Nein», meint Johanna. «Es sind Spielkarten, und wir spielen nur mit ihnen. Es ist eine hübsche Karte, der Gehängte. Er sieht glücklich aus, so auf dem Kopf im Frühling. Soll ich euch ein Spiel beibringen, das wir in der Champagne spielen?»
    «Ja», sage ich. Ich halte die Hand auf, damit sie mir die Karte zurückgibt. Sie betrachtet sie noch einen Moment.
    «Ehrlich, es hat nichts zu sagen», wiederhole ich.
    Sie lächelt mich an, ihr Lächeln ist klar und ehrlich. «Ich weiß genau, was es bedeutet.»
    «Spielen wir?» Ich mische die Karten. Eine dreht sich in meiner Hand.
    «Sieh mal, das ist eine gute Karte», bemerkt Johanna. « La Roue de Fortune. »
    Ich zeige sie ihr. «Das Rad des Schicksals, das dich ganz nach oben oder ganz nach unten bringen kann. Die Botschaft der Karte ist weder Sieg noch Niederlage, denn beide kommen auf dem Rad vor.»
    «In meinem Land haben die Bauern ein Zeichen für das Rad des Schicksals», erzählt Johanna. «Wenn etwas sehr Gutes oder sehr Schlechtes geschieht, zeichnen sie mit dem Zeigefinger einen Kreis in die Luft. Wenn jemand Geld erbt oder eine gute Kuh verliert, machen sie so.» Sie streckt den Finger in die Luft und zeichnet einen Kreis. «Und dazu sagen sie etwas.»
    «Einen Zauberspruch?»
    «Nicht direkt.» Sie lächelt verschmitzt.
    «Was denn sonst?»
    Sie kichert. «Sie sagen: Merde. »
    Vor Lachen falle ich fast hintenüber.
    «Was? Was ist?», fragt das jüngere Mädchen.
    «Nichts ist», sage ich. Johanna kichert immer noch. «Jeannes Landsleute sagen zu Recht, dass alles zu Staub wird und dass man nur eines dagegen tun kann: gleichgültig zu werden.»

    Johannas Zukunft hängt an einem seidenen Faden, sie schwingt vor und zurück wie der Gehängte. Meine gesamte Familie, mein Vater, Pierre Graf von St. Pol, mein Onkel, Louis von Luxemburg, und mein Lieblingsonkel, Jean von
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