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Die Mutter der Königin (German Edition)

Die Mutter der Königin (German Edition)

Titel: Die Mutter der Königin (German Edition)
Autoren: Philippa Gregory
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mich. «Nein! Nein!»
    «Sondern?»
    «Was meinst du?»
    «Was hörst du denn dann?», fragt sie, als hörte jeder vernünftige Mensch irgendetwas.
    «Jedenfalls keine Stimmen», antworte ich.
    «Also, was hörst du dann?»
    Ich sehe mich um, als würden die Fische aus dem Wasser steigen, um uns zu belauschen. «Wenn einer aus meiner Familie stirbt, höre ich etwas», erkläre ich. «Etwas ganz Besonderes.»
    «Was?», fragt mich das Mädchen namens Elizabeth. «Das wusste ich ja gar nicht. Kann ich es auch hören?»
    «Du entstammst nicht meinem Haus», antworte ich gereizt. «Natürlich kannst du es nicht hören. Du müsstest eine Nachfahrin von … und überhaupt dürft ihr nie darüber sprechen. Ihr solltet es gar nicht wissen. Ich hätte es euch nicht erzählen sollen.»
    «Aber was ist es für ein Geräusch?», wiederholt Johanna die Frage.
    «Es ist wie ein Singen», antworte ich, und sie nickt, als hätte sie es auch schon gehört.
    «Man sagt, es sei die Stimme Melusines, der Urahnin des Hauses von Luxemburg», flüstere ich. «Man sagt, sie sei eine Göttin gewesen, die dem Wasser entstieg, um den ersten Herzog zu heiraten, doch sie konnte keine Sterbliche werden. Sie kehrte zurück, um den Verlust ihrer Kinder zu beweinen.»
    «Wann hast du sie gehört?»
    «In der Nacht, in der meine kleine Schwester gestorben ist. Da habe ich etwas gehört. Und ich wusste sofort, dass es Melusine war.»
    «Woher?», flüstert das andere Mädchen, voller Angst, von der Unterhaltung ausgeschlossen zu werden.
    Ich zucke die Achseln. Johanna lächelt. Sie weiß, dass es Wahrheiten gibt, die nicht erklärt werden können. «Ich wusste es einfach», sage ich. «Es war, als hätte ich ihre Stimme erkannt. Als hätte ich sie schon immer gekannt.»
    «Das stimmt. Man weiß es einfach.» Johanna nickt. «Aber wie kannst du sicher sein, dass der Gesang von Gott kommt und nicht vom Teufel?»
    Ich zögere. Spirituelle Fragen sollte ich mit meinem Beichtvater besprechen oder zumindest mit meiner Mutter oder meiner Großtante. Aber Melusines Gesang, der Schauder, der mir dabei die Wirbelsäule hinunterläuft, und dass ich gelegentlich etwas sehe, was eigentlich unsichtbar ist – etwas halb Vergessenes, etwas, das um eine Ecke verschwindet, etwas Hellgraues im Zwielicht, ein allzu klarer Traum, den ich nicht vergessen kann, ein flüchtiger Blick in die Zukunft, aber nichts, was ich beschreiben könnte … Diese Dinge sind zu zart für Worte. Wie soll ich nach ihnen fragen, wenn ich sie nicht benennen kann? Wie sollte ich es ertragen, wenn ein anderer ihnen unbeholfen Namen gibt oder sie sogar erklären will? Genauso gut könnte ich versuchen, das Wasser des Burggrabens in den hohlen Händen festzuhalten.
    «Ich habe nie gefragt», erkläre ich. «Denn es ist doch eigentlich nichts. Stell dir vor, du kommst in ein Zimmer, in dem es still ist – aber du weißt, du spürst einfach, dass jemand da ist. Du kannst ihn zwar nicht hören oder sehen, aber du weißt es trotzdem. Mehr als das ist es kaum. Ich denke daran nie als an eine Gabe Gottes oder des Teufels. Es ist nichts weiter.»
    «Meine Stimmen kommen von Gott», versichert Johanna mit Gewissheit. «Ich weiß es. Wenn dem nicht so wäre, wäre ich vollkommen verloren.»
    «Dann kannst du das Schicksal vorhersagen?», fragt mich Elizabeth kindisch.
    Meine Finger schließen sich um die Karten. «Nein», antworte ich. «Und mit diesen hier sagt man ohnehin nicht das Schicksal voraus, das sind nur Spielkarten. Außerdem würde meine Großtante es mir gar nicht erlauben, selbst wenn ich es könnte.»
    «O bitte, sag meins voraus!»
    «Es sind nur Spielkarten», beharre ich. «Ich bin keine Wahrsagerin.»
    «Bitte, zieh eine Karte und sag mir mein Schicksal voraus», drängt Elizabeth. «Und eine für Jeanne. Was wird aus ihr? Bestimmt willst du doch auch wissen, wie es mit ihr weitergeht?»
    «Sie haben nichts zu bedeuten», wende ich mich an Johanna. «Ich habe sie nur zum Spielen mitgebracht.»
    «Sie sind wunderschön», findet sie. «Bei Hofe haben sie mir beigebracht, mit solchen Karten zu spielen. Wie bunt sie sind.»
    Ich reiche sie ihr. «Geh vorsichtig mit ihnen um, sie sind kostbar», sage ich argwöhnisch, als sie sie in ihren schwieligen Händen auffächert. «Als ich klein war, hat die Demoiselle mir die Namen der Bilder erklärt. Sie borgt sie mir, weil ich so gerne mit ihnen spiele. Aber ich musste ihr versprechen, gut darauf aufzupassen.»
    Johanna gibt mir die Karten
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