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Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe
Autoren: Irma Krauss
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Ein ziemlich langer, frustrierender Tag (mit gutem Ende)

    Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint, in jeder Beziehung. Sagt meine Oma. Von tollen Eltern angefangen bis hin zu meiner robusten Gesundheit. Nicht zu vergessen mein Verstand. Davon hätte ich garantiert mehr, als sonst in einem dreizehnjährigen Kopf steckt. Mehr, als in einem ganzen S-Bahn-Abteil voller Mädels, mittags um eins, wenn die Schule aus ist. Was für hohle Dinger! Bauchnabel zur Schau gestellt, Tattoos überall und ein Kichern und Gackern.
    Ich finde, Oma sollte dann eben mittags um eins die S-Bahn nicht benützen. Oder nur im Winter, wenn man keine Bauchnabel sieht. Und was meinen Verstand betrifft, da ist sie voreingenommen, wie man es von seiner Oma vermutlich erwarten darf. In Wirklichkeit ist der nämlich neuerdings eher lausig. Im Vergleich zu ihm sind meine Gefühle viel, viel besser entwickelt (ich sage nur Ulrich Falkenhauser, weiter nichts).
    Wer meinen Verstand und meine Gesundheit lobt, tut das, weil er sonst nichts zu loben findet. Nicht mal meine Oma, die mich liebt und die deswegen auf beiden Augen blind ist, würde es wagen, meinen ach so gesunden Körper hübsch zu nennen. Wenn ich in einem Badeanzug stecke, sehe ich nämlich aus wie Omas Lieblingspuppe Vera ohne Kleider. Die sitzt bei ihr auf der Couch und hat unter dem Kleid einen Rumpf aus Leinen, so einen gestopften Balg, rund und völlig ohne Taille.
    Und jetzt soll noch mal einer behaupten, das Schicksal hätte es gut mit mir gemeint.

    Mein roter Badeanzug zwickt. Der grüne auch. Ich habe es geahnt. Und morgen gehen wir zum ersten Mal in diesem Jahr schwimmen! (Wenigstens wird Ulrich Falkenhauser nicht im Schwimmbad sein, als Musiklehrer hat er was anderes zu tun.) Ich stehe vor dem Spiegel und zerre an dem roten Ding. »Bäh!«, sage ich zu der Blutwurst im Spiegel und zeige ihr eine lange rosarote Zunge. Ich glaube, meine Zunge ist noch das Eleganteste an mir.
    »Du wirst abgeschafft«, erkläre ich dem Spiegel, der nichts dafür kann. Mich packt trotzdem die Wut auf ihn. Ich bücke mich nach dem grünen Badeanzug, knülle ihn in der Hand und schleudere ihn gegen den Spiegel. Der wackelt, aber nicht sehr. Ich gucke mich um. Vielleicht die scheußliche Tasse von meiner besten Freundin Britta?
    Auf der Tasse ist ein Walross. Ich habe sie von Britta zum Geburtstag geschenkt bekommen. Warum, das will ich gar nicht so genau wissen. Aber von der Ähnlichkeit mit mir abgesehen, ist das Walross eigentlich süß. Außerdem mag ich nicht hunderttausend Spiegelscherben einsammeln.
    Ich greife mir eine Handvoll Schmierblätter aus dem Papierkorb. Die bestreiche ich mit Klebstoff. Klatsch, an den Spiegel damit. Klatsch, noch ein Zettel, klatsch, wie eine Ohrfeige.
    Die Wurst in der roten Pelle verschwindet allmählich. Bald ist sie ganz weg. Oben sehe ich noch eine Lücke zwischen zwei Blättern, genau auf Augenhöhe. Kann bleiben, beschließe ich und schraube den Klebestift zu. So grüne Augen wie ich hat schließlich nicht jede! So blitzgrüne, funkelnde. Was, versuche ich mich zu überzeugen, ist dagegen schon ein hübscher Bauchnabel? Im Winter ist der weg, überhaupt nicht zu sehen. Aber meine Augen, die funkeln auch, wenn es kalt ist.
    Ausgiebig begucke ich mir das rechte Auge in der Lücke und danach das linke. Einwandfrei schön, ganz ohne Zweifel, die Wimpern und die Brauen auch. Ich sollte vielleicht Muslimin werden und einen Tschador tragen, dann sieht man nichts mehr von mir als meine grünen Blitzaugen. Wie bei Rahime aus meiner Klasse. Die ist eine strenggläubige Muslimin und ihr schwarzer Tschador lässt nur die Augenschlitze frei.
    Als ich mir den roten Badeanzug runterrolle, bemühe ich mich, meinen Bauchnabel nicht zu beachten. Ich weiß sowieso, wie der aussieht. Wie ein Versehen. Eine mickrige, kleine Falte, zusammengequetscht vom Speck.

    Ich ziehe mich an und gehe zu meiner Mutter hinüber. Sie sitzt am Flügel. Wenn sie zu Hause ist, spielt sie ständig. Ich habe sie schon die ganze Zeit gehört und dabei in Gedanken ihre Finger gesehen, wie sie schlank und schön über die Tasten fliegen.
    Meine Mutter ist Konzertpianistin. Trotz ihrer fünfunddreißig Jahre sieht sie umwerfend gut aus. Schmal, zart und vollkommen. Es ist nicht nur eine Freude, ihr zuzuhören, stand mal in der Zeitung, sondern auch, sie anzuschauen. Sie und ein Flügel passen in ihrer Eleganz perfekt zusammen.
    Bei mir ist das nicht der Fall. Kann sein, dass ich deswegen mit dem
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