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Voodoo Holmes Stories

Voodoo Holmes Stories

Titel: Voodoo Holmes Stories
Autoren: Berndt Rieger
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Voodoo Holmes und die Schuldigen
     
    Die Lichtverhältnisse in dem großen, kalten Saal, in dem die Männer Aufstellung genommen hatten, waren nicht ideal. Die Gasbeleuchtung tauchte alles in ätherisches Gelb, und da der Saal unbeheizt war, traten die Atemstöße der Männer als Wölkchen aus dem Mund, was die Sicht für die Zeugin gewiss nicht erleichterte. Ich stand unmittelbar hinter ihr in dem kleinen Raum in den Tiefen der Anlagen von Scotland Yard, durch dessen Glasscheibe man in den Saal blickte, und konnte sie riechen. Es war ein etwas aufdringlicher Duft, der einen gleichwohl gefangen nahm, und so, wie es mir ging, schienen auch die anderen Männer zu reagieren, denn es war eine vertrauliche Stille eingetreten, während wir darauf warteten, bis sich die Männer ausgerichtet hatten. Da war ein Wachbeamter, der die Sprechklappe bediente, die geöffnet wurde, wenn eine Anweisung an die Männer erging, die Aufstellung genommen hatten. Dann Inspektor Lestrade, ein eher kleinwüchsiger, schmaler Mann mit verkniffenen Lippen, der im Hintergrund des Raums stand. Hier herinnen war es dunkel, um jemandem, der im Saal stand, keinen Einblick in den Raum zu gewähren. Ich vermute allerdings, dass man schattenhafte Umrisse von da drinnen wahrnehmen konnte und vermuten würde, dass der Umriss, der in der Mitte stand, der Zeuge oder die Zeugin sein würde. Ein Mann vom Innenministerium war offenbar als Beobachter zugegen, und dann befand sich noch Sergeant Maddox unter uns, Inspektor Lestrades neuer Assistent, ein großer bulliger Typ mit Schnauzer, und letztlich ich, der „jüngere Holmes“, wie man mich reihum vorgestellt hatte.
    Die Zeugin hielt sich aufrecht, und als sie nun etwas sagte, merkte man, dass sie am ganzen Körper vibrierte.
    „Nr. 3, könnte ich den von der Seite sehen?“
    „Rechts oder links?“ fragte Lestrade im gedämpften Tonfall.
    „Von links.“
    Der Wachbeamte öffnete die Klappe und bellte: „Nr. 3! Linkes Profil!“
    Der Mann reagierte. Er war älter als die meisten anderen. Der Tatverdächtige hatte eine Tafel mit der Nr. 2 in der Hand und war sichtlich zusammengezuckt, als das Kommando ertönte. War er schuldig?
    Zumindest war er nervös und schien als einziger bis in die letzte Faser zu spüren, dass es hier um Leib und Leben ging, denn wenn er heute morgen als Täter benannt würde, war ihm der Tod durch den Strang gewiss. In dieser Situation konnte er nicht anders als schuldbeladen wirken, sofern er nicht gewissenlos war. Sah so ein Täter aus oder stimmte nicht vielmehr das Gegenteil, dass einer, der völlig locker dort stand, schon einmal prinzipiell verdächtig sein musste? Dafür wäre Jeffrey ein gutes Beispiel, merkte ich. Jeffrey war die Ursache meines Hierseins. Der Neffe des Innenministers war ein völlig unauffälliger, durchschnittlicher Typ, der sich aufgrund seiner Beziehungen und wohl auch aus einer gewissen Abenteuerlust heraus angewöhnt hatte, an Aufstellungen bei Scotland Yard teilzunehmen. In letzter Zeit war er dabei mehrmals versehentlich als „Tatverdächtiger“ identifiziert worden. Woran konnte das liegen? Heute trug er die Nr. 6 und stand einfach da. Ich hatte ihn von Anfang an nicht aus den Augen verloren und es war mir nichts Verdächtiges an seinem Verhalten aufgefallen.
    „Was ist mit der Nr. 6?“ fragte jetzt die Zeugin. Konnte sie Gedanken lesen? Ich glaubte im Zwielicht zu erkennen, dass ihr Gesicht von Schweiß bedeckt war, und es war da etwas in ihrer Stimme.
    „Was ist damit?“ fragte Lestrade, und ich merkte, dass er sich Mühe gab, seine Stimme unbeteiligt klingen zu lassen.
    „Ich weiß nicht“, gab sie zurück, „er ist irgendwie komisch.“
    Ich versuchte, Jeffrey mit ihren Augen zu sehen. Auf mich wirkte er völlig durchschnittlich, ein schlanker Mittzwanziger mit kurzen, blonden Haaren.
    Vielleicht, um die Zeugin abzulenken, schlug Lestrade vor: „Wollen Sie ihn auch im Profil sehen?“
    Sie atmete spürbar erleichtert aus und machte dabei einen zustimmenden Ton. Ich merkte, dass ihr Geruch in dem kleinen Raum zunahm, ein hypnotisierender Vorgang. Der etwas fade Beigeschmack billigen Perfums machte ihrer eigenen Duftnote Platz. Sie roch nach einer jungen Frau, die Angst hatte.
    „Nr. 6, linkes Profil!“ rief der Wachbeamte durch die Klappe in den Saal.
    Nun, da er direkt angesprochen war, zeigte Jeffrey eine deutliche Veränderung. Es hatte etwas von einem Beutel in einem Wasserbad, der Farbe enthält. Erst war es nur ein Beutel
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