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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
Autoren: Christian Ditfurth
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    1
    Es splitterte und knallte, dann ein Schrei. Etwas befahl Stachelmann, sich auf den Boden zu werfen. Er schlug hart auf die Knie und zerkratzte sich die Hände auf dem Pflaster. Er hatte geschwitzt in der S-Bahn und gefroren auf dem Weg vom Dammtorbahnhof zur Universität, aber in diesem Augenblick fühlte er nichts. Jetzt verstand er, dass er selbst geschrien hatte. Er lag im Schneematsch auf dem Pflaster des Von-Melle-Parks, ein paar Dutzend Schritte nur entfernt vom Eingang des Philosophenturms. Und jemand hatte geschossen. Auf ihn. Warum, verdammt, bin ich nicht ins Gebäude gerannt, statt mich hinzuwerfen? Jetzt spürte er, wie die Nässe kalt durch seine Hose drang. Er versuchte zum Eingang des Philosophenturms zu kriechen, aber er war wie gelähmt. Arme und Beine gehorchten ihm nicht. Er suchte die Angst in sich, aber da war nichts dergleichen. Da war nur ein Staunen.
    Wieder ein Schuss. Es pfiff an seinem Ohr vorbei, ganz nah, laut, kurz. Der Knall wurde hin- und hergeworfen zwischen Philosophenturm, Audimax und dem Gebäude der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Der nächste Schuss. Diesmal hörte Stachelmann ein Splittern, vor ihm staubte es hoch, Steinsplitter flogen ihm ins Gesicht. Menschen schrien durcheinander, Stachelmann hörte den Schrecken und die Angst in den Stimmen.
    Dann war die Lähmung weg, und die Angst packte auch ihn. Weg hier, bloß weg. Er hatte keine Deckung, war eine Zielscheibe, wenn der Schütze von oben schoss. Stachelmann kroch zur Eingangstür des Philosophenturms. Neben ihm schlug es ein, der Knall hallte nach. Wieder trafen ihn Splitter im Gesicht, es stach und brannte, er kroch weiter, so schnell er konnte. Stachelmann meinte zu sehen, wie der Unbekannte auf ihn zielte. Jeden Augenblick konnte ihn der Schuss töten. Fast fühlte er schon, wie die Kugel heiß in seinen Rücken eindrang. Schnell, schnell. Die letzten Meter stand er auf, er rannte, schlug einen Haken. Der Schuss traf die Tür, als Stachelmann sie öffnete. Er spürte den Schlag von der Wucht des Geschosses in der Hand, sah das Loch, das die Kugel in die Tür gerissen hatte. Er warf sich ins Gebäude, fiel auf Knie und Ellbogen, stöhnte auf und begriff noch im Rollen, dass er hinter der Mauer unterhalb der Fenster sicher war. Er schmeckte Blut, wischte sich mit der Hand übers Gesicht, die Hand wurde nass und färbte sich rot. Auf der anderen Seite der Tür lagen zwei Studenten. Der eine hatte seinen Kopf unter den Armen begraben, als könnten die ihn gegen Kugeln schützen. Der andere stierte zu Stachelmann.
    Stachelmann schaute zur Cafeteria. Menschen lagen auf dem Boden. Seine Augen verharrten bei einer Frau, die ihn anstarrte. So viel Angst hatte er noch nie gesehen. Dann schaute die Frau weg, wie in Zeitlupe.
    Warum schoss es nicht mehr?

    Er hörte Sirenen. Bald zuckte Blaulicht auf dem Boden und in der Cafeteria. Vor deren Fensterwand stand ein Polizeiauto. Das Licht blinkte auf den Körpern, die in der Cafeteria lagen. Zwei Polizisten öffneten die Eingangstür, sie hatten Pistolen in den Händen.
    »Von wo?«, brüllte einer. Als er keine Antwort erhielt, brüllte er noch lauter: »Von wo wird geschossen?«
    Stachelmann wollte antworten, öffnete den Mund, bekam aber kein Wort heraus.
    »Da«, sagte der Student, der Stachelmann angeglotzt hatte. Er zeigte mit der Hand nach draußen.
    Die Polizisten stockten, guckten einen Augenblick ratlos umher, dann stürmten sie wortlos in die Cafeteria. »Scheiße!«, brüllte der eine.
    Bald erschien ein Mann im weißen Kittel mit einer schwarzen Tasche, er betrat die Cafeteria, kniete nieder neben der Frau, die Stachelmann angestarrt hatte, fühlte den Puls, holte aus der Tasche eine Spritze und eine Ampulle, brach diese auf, steckte die Nadel der Spritze hinein, zog den Kolben zurück, drückte etwas Flüssigkeit durch die Nadel, desinfizierte die Armbeuge und stach mit der Spritze hinein. Stachelmann folgte jeder Bewegung. Sonst schaute er weg, wenn jemandem eine Spritze gesetzt wurde, sogar im Kino.
    Der Polizist, der gebrüllt hatte, zeigte nach draußen und zuckte mit den Achseln. Stachelmann fiel auf, dass niemand mehr schrie. Er kroch in Richtung Cafeteria. Währenddessen linste er hinaus. Überall Polizei, ein Sondereinsatzkommando mit Helmen, Schutzwesten, Maschinenpistolen und Gewehren. Zivilpolizisten. Dann erkannte er Taut, den Leiter der Mordkommission, der seinen mächtigen Körper schon zum Tatort geschleppt hatte.
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