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Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)

Titel: Lüge eines Lebens: Stachelmanns vierter Fall (German Edition)
Autoren: Christian Ditfurth
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haben, von wo aus geschossen wurde, wissen wir mehr. Aber dass der Schütze Sie nicht getroffen hat, ist erstaunlich. Sieht fast so aus, als hätte er absichtlich vorbeigeschossen. Immer dicht daneben. Wer könnte das tun?«
    Stachelmann zuckte die Achseln. Wer tut so was?
    »Haben Sie mit jemandem Streit gehabt?«
    Stachelmann schüttelte den Kopf. In ihm arbeitete es. Das ist doch absurd. »Das war ein Irrer.«
    Taut warf ihm einen neugierigen Blick zu. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Mir fällt kein halbwegs vernünftiger Grund ein. Und so was gibt's doch. Da lebt irgendeiner Allmachtsphantasien aus. Und ich hatte das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.«
    »Mag sein. Unsere Erfahrung spricht dagegen. Vielleicht haben Sie jemanden beleidigt, ohne es zu merken? Eine schlechte Note gegeben oder einen durchfallen lassen. Sie glauben gar nicht, wie viele Gründe es geben kann, dass jemand durchdreht. Manche Leute warten geradezu auf einen Auslöser, und der kann anderen völlig unwichtig erscheinen.«
    »Ja, ja«, sagte Stachelmann. Er hatte sich wieder einigermaßen im Griff. Der Schwindel war verschwunden, und obwohl er sich noch schwach fühlte, traute er es sich wieder zu, systematisch zu denken.
    Ich hatte einfach Pech. Oder es war Absicht.
    Ein Polizist eilte auf Taut zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann ging er weg in Richtung WiSo-Fakultät.
    »Die Kollegen haben den Ort gefunden, von dem aus geschossen wurde«, sagte Taut. »Kommen Sie mit?«
    Stachelmann antwortete nicht, lief aber los. Die Knie waren fast schon wieder gummifrei. Polizisten hielten Neugierige zurück. Fotoapparate blitzten, doch Stachelmann achtete nicht darauf. Irgendjemand rief ihm etwas zu, aber er wollte es nicht hören. Taut holte ihn ein.
    »Es ist oben, auf dem Dach«, sagte ein Polizist zu Taut.
    Sir fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben. Eine Stahltreppe führte zu einer Stahltür, die offen stand. Taut trat als Erster hinaus aufs Dach, Stachelmann folgte ihm, dann noch ein Uniformierter. An der Kante zum Von-Melle-Park standen zwei Männer mit Anoraks, auf dem Rücken die Aufschrift Kriminaltechnik. Stachelmann blieb in Tauts Schlepptau. Der Leiter der Mordkommission näherte sich den Kriminaltechnikern, Stachelmann sah drei Kreidekreise auf dem Beton. In den Kreidekreisen lagen Patronenhülsen.
    »Die vierte Hülse haben wir noch nicht gefunden, ist wohl hinuntergefallen«, sagte ein Kriminaltechniker. Er hatte rote Wangen von dem kalten Wind, der den Nieselregen übers Dach trieb. Im schwarzen Schnauzbart hatten sich Tropfen verfangen. Der andere Kriminaltechniker kniete an der Dachkante und wandte den anderen den Rücken zu. »Habt ihr sie?«, rief er hinunter.
    »Kaliber 7,62«, sagte sein Kollege. »Das ist schon mal sicher. Wahrscheinlich eine automatische oder halbautomatische Waffe, das zeigen die Abdrücke des Verschlusses auf der Hülse.«
    »Also ein Militärgewehr?«, fragte Taut.
    »Sieht so aus.«
    »Hm.«
    Was bedeutete es? Ein Soldat? Unsinn! Militärgewehre gab es zu Millionen überall in der Welt, in Kriegen und Bürgerkriegen. In den Händen von Soldaten, Banden, Todesschwadronen, Guerilleros, Frauen und Kindern. Wahrscheinlich hatten allein in Deutschland Tausende von Waffennarren Militärgewehre im Schrank stehen. Weil sie sich mächtig fühlen wollten. Sie hatten Menschenleben in der Hand. Wir könnten ja, wenn wir wollten ...
    »Morgen wissen wir mehr. Wir vergleichen die Hülsen mit den Mustern beim BKA.«
    »Gut«, sagte Taut.
    Stachelmann stellte sich an die Dachkante. Die Tiefe griff nach seinem Unterleib und zog ihn hinab. Er wehrte sich, stemmte sich gegen das Gefühl. Von hier hatte er einen guten Überblick über den Von-Melle-Park. Und der Schütze hatte ein ideales Schussfeld gehabt. Stachelmann sah sich da unten auf dem Pflaster im Schneematsch liegen. Von hier oben, so nah, würde wahrscheinlich selbst er ein Ziel von dieser Größe treffen. Bei vier Versuchen allemal.
    »Kaum zu glauben, dass er vorbeigeschossen hat«, sagte Taut leise. Er hatte sich unmerklich neben Stachelmann gestellt.
    »Genau das habe ich auch gedacht.«
    »Der hat ganz genau gezielt«, sagte Taut. »Und ganz genau vorbeigeschossen. Der wollte Sie nicht töten.«

    Als Stachelmann vor Annes Wohnungstür stand, war er schweißüberströmt und atemlos. Er traf das Schloss nicht mit dem Schlüssel, er versuchte es ein paarmal. Schließlich klingelte er und setzte sich auf die Treppe zum nächsthöheren
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