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Möwenspur

Möwenspur

Titel: Möwenspur
Autoren: Jean-Pierre Kermanchec
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Kapitel 1
    Das schäumende Wasser brach sich an den Felsen in der
kleinen Bucht, unweit von Raguénez in der Bretagne.
Die jetzt auflaufende Flut hatte schon eine Menge an
neuem Abfall ans Ufer geschwemmt, der sich zwischen
den zerklüfteten Felsen verfangen hatte und aus der Entfernung aussah, wie von einem Maler gesetzte Farbpunkte. Die Möwen kreischten gewaltig, während sie gezielt
ihre Kreise über einen der Felsen zogen und immer wieder zu diesem Felsen hinabstießen, so als fänden sie dort
in den seichten Pfützen kleine Fische, die sich auf den
flacheren Stellen während der letzten stürmischen Nacht
gebildet hatten. Der Wind hatte in der vergangen Nacht
Geschwindigkeiten von über achtzig Stundenkilometern
erreicht, wenn er sich noch richtig an die Aussage der
Nachrichtensprecherin erinnerte.
Gerard Martinou sah auf seine Armbanduhr und war
erstaunt, dass er bereits seit über einer Stunde unterwegs
war. Er hatte sein Feriendomizil, ein kleines altes Fischerhaus, das unmittelbar an der Strandpromenade in
‚Le Paradis‘ lag, einem Ortsteil von Trévignon, kurz vor
sieben Uhr verlassen. Er war noch vor dem Frühstück zu
einem
ausgedehnten Strandspaziergang
aufgebrochen,
um
die
zu viel
genossenen Kalorien des
gestrigen
Abends zu verbrauchen. Der Abend war sehr lang und
sehr feucht gewesen. Sein bester Freund hatte seinen
Besuch angekündigt und war am Abend gegen 19 Uhr
eingetroffen. Die beiden Männer
hatten Erlebnisse der
vergangenen Jahre aufgefrischt und gemeinsame Späße
erinnert. Dabei leerten sie eine Flasche Bordeaux nach
der anderen.
Marc Louvin lag wohl noch immer im Bett, dachte Martinou. Bevor er gestern Nachmittag Paris in Richtung
Bretagne verlassen hatte, war er annähernd sieben Stunden lang mit einem Verhör
seines letzten Mordfalles
beschäftigt gewesen. Dann hatte er das Geständnis erreicht und damit den Fall abgeschlossen. So konnte er
anschließend den bereits lange abgesprochenen gemeinsamen Urlaub bei seinem Freund Martinou antreten und
sich auf die etwa fünf Stunden lange Fahrt begeben.
Martinou sah auf seinem Weg den Möwen in ihrem
Spiel zu. Zuerst ein kurzes Kreisen und dann die abrupte
Landung auf dem Felsen, Stolzieren und das erneute
Aufsteigen um nach wenigen Sekunden erneut mit dem
Spiel zu beginnen. Martinou genoss die leichte Brise, die
vom Meer her wehte
und die Wellen mit absoluter Regelmäßigkeit an die Felsen trieb. Aber heute störte ihn
irgendetwas an diesem Bild. Er konnte nicht sagen was
es war, aber die Möwen verhielten sich anders als an den
vergangen Tagen. Dann fiel es ihm auf, die Vögel verblieben immer an der gleichen Stelle. Sie flogen nicht
beständig hin und her.
Er näherte sich langsam der Stelle hoch über den Felsen.
An dieser Stelle fielen die Felsen beinahe zehn Meter tief
zum Wasser ab. Es war einer seiner Lieblingsplätze auf
diesem Küstenweg. Die großen Gesteinsbrocken bildeten
ein regelrechtes Felsenmeer und damit eine natürliche
Strandbefestigung,
die
selbst
den häufigen Orkanen
standhalten konnte, die hier regelmäßig auftrafen. Zwischen den Gesteinsbrocken lagen bereits vertrocknete
Braunalgen und an den, dem Meer zugewandten Stellen
hatten sich zahllose Muscheln eine neue Heimat gesucht.
Martinou war es gewohnt, hier immer wieder die Reste
von Schiffsabfällen zu finden. Auch heute konnte er leere Plastikkanister und Evian Flaschen ausmachen, die
sich zwischen den Felsen verhakt hatten. Einen einstmals
gelben Turnschuh erblickte er unterhalb seines Weges.
Die vereinzelten Teerklumpen und die ausgewaschenen
Reste dicker blauer und grüner Hanfseile lagen verstreut
auf den kleinen Sandinseln zwischen den Steinen.
Wie angewurzelt blieb Martinou stehen, als er die zwei
schwarzen Schuhe sah, deren
Ledersohlen steil nach
oben zeigten und die nicht aussahen, als ob sie schon seit
Tagen hier lägen. Als er näher kam, konnte er auch erkennen, warum
sich die Möwen immer wieder kreischend an dieser Stelle niederließen. In den Schuhen
steckten zwei Füße. Die Beine waren von einer vollkommen durchnässten Anzughose bedeckt. Der restliche
Körper war mit
Fischabfällen übersät. Der Körper war
so verdreht, dass das Gesicht nach unten zeigte und Martinou es nicht erkennen konnte.
Er griff in die Tasche seiner Barbour-Jacke und holte
sein Handy
heraus. Er wählte die Mobilnummer seines
Freundes Louvin. Um diese Zeit müsste er bereits erwacht sein, dachte er sich, während das Telefon klingelte.
Als sein Freund abnahm, sagte Martinou
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