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Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)

Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)

Titel: Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)
Autoren: Lorelei Mathias
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1. KAPITEL
    Ticktack
    »Jetzt reicht’s mir aber! Wie lange kann es dauern, von Highgate Village bis hierher zu kommen?! Laut Fahrplan genau zehn Minuten! Und wie lange stehe ich mir hier schon die Beine in den Bauch?! Und diese blöde Blechschüssel will und will einfach nicht auftauchen!«
    Amelie Holden merkte, dass sie mit ihrer Schimpftirade die Aufmerksamkeit aller Umstehenden auf sich gezogen hatte. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie ihre schweren Einkaufstüten, Schal, Mantel und Sporttasche auf den Gehsteig vor der Bushaltestelle Highbury Corner plumpsen und bedachte den Obdachlosen, der es sich in dem Bushäuschen gemütlich gemacht hatte, mit einem gereizten Blick. Er prostete ihr verschmitzt mit seiner Bierdose zu. Ach, verzieh dich, dachte sie. Bloß weil du nicht gaaanz dringend vor fünf Minuten irgendwo hättest sein müssen. Wieder einmal.
    Wieso, fragte sich Amelie ernsthaft, log die Anzeige eigentlich immer? Wieso stand da »Old Street, 10 Minuten«, wo man doch sehen konnte, wie die Zeit verrann? Sie hatte schließlich eine Uhr. Es war zum Verzweifeln – sie wieder einmal, sie und ihre verdammte Unpünktlichkeit. Und da stand ja immer noch Old Street, 10 – o nein, was war das denn? 14 Minuten! Ja, verging die Zeit denn langsamer? Fuhr der Bus etwa rückwärts??!
    Amelie durchwühlte hektisch ihre Tüten auf der Suche nach ihrem Handy. Hastig tippte sie eine Textnachricht ein, immer mit einem Auge auf der Anzeigetafel.
    Clairey – ist nicht so, als ob ich’s diesmal nicht echt versucht hätte. Wäre pünktlich gewesen – überpünktlich sogar. Stehe aber jetzt schon seit buchstäblich sechs Jahren an dieser saublöden Bushaltestelle und warte auf den saublöden 271er. Komme sobald menschenmöglich. Wenn ihrs eilig habt, bestellt ruhig schon. Werde mich dann mit Erdnüssen begnügen, wie immer.
    Amxxx
    Sie drückte auf »Senden« aber nichts geschah. Ach ja! Ihre Zahlkarte war ja leer. Und sie war nicht dazugekommen, sie aufzuladen.
    »Scheiße«, zischte sie. »Das ist mal wieder typisch.«
    In diesem Moment tauchte ein 43er auf, und Amelie überlegte kurz, ob sie nicht einfach den nehmen sollte, bloß um nicht länger hier rumstehen zu müssen. Der Bus würde sie ihrem Ziel – Hoxton – zumindest ein wenig näher bringen. Aber nein. Das hatte sie einmal gemacht und bitter bereut. Sie war an einer ihr völlig unbekannten Haltestelle ausgestiegen und hatte von dort eine Ewigkeit gebraucht, um zu ihrem Ziel, dem Hoxton Square, zu finden. Am Ende war sie dann noch später angekommen, als wenn sie auf den 271er gewartet hätte. Nein, so war’s besser.
    Und sie hatte die Geschenke schon eingepackt, das war wenigstens etwas. Meist hantierte sie nämlich noch im Bus mit Schere und Tesa herum. Aber die Karte! Ja, die Karte könnte sie jetzt schnell schreiben, während sie wartete. Eifrig begann sie in ihrer überquellenden Handtasche zu kramen, wühlte sich durch Berge von zerzausten Tempos, Haftzettelchen und Schminkzeug. Sie konnte die Karte mit den Fingerspitzen fühlen, ganz unten steckte sie. Da half alles nichts: Amelie ging in die Hocke und begann die Karte freizulegen, indem sie Schicht für Schicht abtrug und um sich herum auf dem Gehsteig ausbreitete. Da war zunächst einmal ein Paar braune Handschuhe (einer aus Leder, der andere aus Samt), ein Notizbüchlein (dessen Seiten alle vollgeschrieben waren), ein rosa Mini-iPod (mit leerer Batterie) und eine Bürste (sowie der dazugehörige abgebrochene Griff). Ja, jetzt konnte sie die Karte sehen. Doch gerade, als sie im Begriff war, sie herauszunehmen, nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, wie die Leute um sie herum sich in Bewegung setzten. Offenbar war »Old Street, 14 Minuten« auch gelogen gewesen. Wie durch Zauberhand hatte sich der verschollene 271er materialisiert.
    Hektisch begann sie, alles zusammenzuraffen und in ihre Tasche zurückzustopfen. Nach dem dritten Fehlversuch, den Reißverschluss der Handtasche zuzubekommen, gab sie auf, ließ das verflixte Ding offen und erhob sich. Gerade kletterte eine alte Dame mit Shopping-Trolley in den Bus, und zu ihrem Erstaunen und ihrer Empörung sah Amelie, dass der Busfahrer Anstalten machte, ihr die Tür vor der Nase zuzumachen. Und nicht etwa, weil der Bus schon zu voll war. Nein, dieser Fahrer gehörte zu der Sorte, der das Zittern bekommt, wenn mehr als zwei Leute im Gang stehen, weil das die Versicherung nicht mehr abdeckt. Während sich also die alte Dame mit diebischer Genugtuung auf
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