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Wimsey 11 - Der Glocken Schlag

Wimsey 11 - Der Glocken Schlag

Titel: Wimsey 11 - Der Glocken Schlag
Autoren: Dorothy L. Sayers
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englischen Besonderheiten, der übrigen Welt unbegreiflich.
    Aber die unbegreifliche Kunst macht, so werden wir sehen, die Welt begreiflicher, und das ist nötig. Denn der Satz, den der ehrwürdige Rector Venables gleich anfangs zu seinem im Schneesturm gestrandeten Gast Lord Peter Wimsey spricht, wir sind hier lauter ehrliche Menschen, erweist sich als immer fragwürdiger, der Friede des Marschdorfes als trügerisch. Ein lang verjährter Juwelendiebstahl im Gutshaus wirft seine Schatten auf die freundliche Gegenwart. Verdacht geht um, ein redliches Paar glaubt redlich verheiratet zu sein und lebt in Bigamie; die Gutsfrau stirbt zu früh, ihr Mann stirbt ihr nach und läßt eine halbwüchsige Tochter mittellos zurück; im noch frischen Grab findet sich die verstümmelte Leiche eines Unbekannten, das Gesicht zur Unkenntlichkeit zerschlagen, die Hände abgehackt; der Dorfdepp, dessen Mutter sich einst erhängt hat, weiß etwas – aber was weiß er? Noch ehe das Rätsel gelöst wird (ein zweifaches Rätsel: wer ist der Tote? wer ist der Mörder?), brechen die Schleusen, und das Dorf wird überflutet, bis auf die Kirche, in deren Turm die acht Glocken hängen. Also doch keine heile Welt, und wenn sie auch übersehbar ist, so ist das Leben und Sterben in ihr keineswegs verständlich, weder für das erfahrene Auge des Chief Inspector Parker, noch für das scharfe des Lord Peter, nicht einmal für das fromme des Rev. Venables.
    Zu all dem läuten die Glocken, wie es schon das Titelblatt verspricht: Variationen über ein altes Thema, in zwei kurzen Sätzen und zwei vollen Zyklen . Sie läuten Sturm vor der Wasserflut und als Fliegeralarm, sie läuten zu einer Hochzeit und zur Taufe, sie läuten beim Heimgang des alten Jahres und läuten das neue ein, sie läuten beim Tod jedes Christenmenschen ihre neun Schläge, die dem Buch den Namen geben. Nine tai lors – or teller strokes, Zählerschläge, deren erste erkennen lassen, ob Mann oder Frau gestorben sei, deren folgende das Sterbealter angeben, ein Schlag für jedes Lebensjahr. Die Schläge hallen über das weite flache Land, vom Meerwind fortgetragen und verweht. Was sie sagen, steht in Kürze auf der Tailor Paul geheißenen Glocke, die eine besondere Rolle in der Geschichte spielt:

    Neun Schlag von mir beklagen einen Mann +
    In Christo hat der Tod ein End +
    In Adam so begann +

    Von vornherein also hat diese der Unterhaltung dienende Detektivgeschichte einen theologischen Grundton. Er wird nicht zudringlich vorgetragen, aber er ist da, und diejenigen irren, die da meinen, erst die alte Dorothy L. Sayers sei ›fromm geworden‹, indem sie nicht mehr Lord Peter, sondern das Leben Christi beschrieb und die Göttliche Komödie übersetzte. In Wahrheit geht es auch in ihren bedeutenden Romanen um ›letzte Fragen‹, ja man kann sagen, daß die Gattung der Detektivgeschichte diese letzten Fragen geradezu unabweislich mache und daß das merkwürdige Interesse, welches die Leser an ihr zu nehmen pflegen, damit durchaus zusammenhänge. Sie kommt nämlich so wie unser Leben nicht ohne den Tod aus, wenn man absieht von Gaudy Night, wo die Möglichkeit des moralischen Todes an seine Stelle tritt. Und sie besteht darauf, daß dieser Tod ein Rätsel sei, eine stupende und eigentlich nicht denkbare Irregularität im Weltverlauf. Damit handelt sie von einem höchst menschlichen Gefühl, und die Worte, die der Rev. Venables zu Lord Peter sagt, dem die unerfreuliche Wahrheit aufzudämmern beginnt, sind keineswegs salbungsvoll: » Mein lieber Junge«, sagte der Pfarrer, »es steht uns nicht an, allzuviel über das Morgen nachzudenken. Besser der Wahrheit folgen und es Gott überlassen, was daraus wird. Er sieht voraus, was wir nicht voraussehen können, denn er weiß alles. «
    » Und braucht nie über sein Wissen hinauszudenken, wie Sherlock Holmes sagen würde. Nun, Herr Pfarrer, ich denke, Sie haben recht. Wahrscheinlich will ich wieder mal zu schlau sein …«
    Aber eben dies sein zu müssen, ist die Aufgabe des Detek
    tivs, der der Todesursache stellvertretend für den Leser auf den Grund geht. Wie dieser und wie alle Menschen weiß auch er nicht alles und ist genötigt, aus den ihm zukommenden und von ihm aufgesuchten Daten die Wahrheit ausfindig zu machen. Der Verlauf dieser Wahrheitsfindung ist der Verlauf des Romans. Bis zum Schlusse bleibt es dabei (und das gehört zum Grundmuster der klassischen mystery story), daß ein scheinbar gelöstes Rätsel ein neues hinaufführt.
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