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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Autoren: Juergen Kehrer
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»Ähm, was hältst du davon, wenn ich dir jetzt dein Zimmer zeige. Dann können wir den Drehplan für morgen durchgehen.«
    »Gute Idee«, stimmte ich zu. Vielleicht war die Luft in meinem Zimmer etwas weniger eisgekühlt. Ansonsten hätte ich mir noch rasch meine Winterjacke holen müssen.
    Wir fuhren mit dem Aufzug in die vierte Etage. Der Fahrstuhl sah nicht so aus, als stammte er aus dem sechzehnten Jahrhundert, aber ich konnte mich ja täuschen, denn alles andere – die mit farbigen Tapeten bespannten Wände, die finsteren Ölschinken und das Mobiliar – machte einen ziemlich originalen Eindruck.
    Dieter lotste mich um eine Ecke, und wir liefen in ein blondes Mädchen hinein, das mir bis zu den Achseln reichte.
    »Entschuldigung«, keuchte Dieter. Sein Gesicht wurde puterrot.
    Das Mädchen sagte nichts und verschwand.
    Ich guckte ihr nach. »War das nicht ...?«
    »Katinka Muschwitz.« Er sprach ihren Namen aus, wie unsere Großväter über Marlene Dietrich geredet hatten.
    »Du bist scharf auf sie, was?«
    »Pscht! Geh weiter!«
    »Im Fernsehen sieht sie irgendwie größer aus. Und sie hat keine Pickel im Gesicht. Auch das Haar ...«
    Er schloss eine Tür auf. »Mein Gott, was bist du trivial. Mit oder ohne Pickel, sie sieht einfach toll aus. Allein die Vorstellung, dass sie meine Dialoge spricht ...«
    »Okay, okay, für einen Fernsehstar sieht sie nicht schlecht aus.« Ich sah mich um. Das Zimmer war nicht ganz so groß wie das Schlafzimmer von Lady Di, aber annähernd so plüschig.
    »Wie gefällt’s dir?«
    Ich trat ans Fenster. Ein weiter Blick über den See, der im Mondlicht schimmerte. »Nicht übel.«
    Dieter öffnete den Kühlschrank. »Ich darf mir doch ein Bier nehmen? Du brauchst das Zeug ja eh nicht.«
    »Bedien dich ruhig!« Ich ließ mich in einen Plüschsessel fallen. »Ziemlich verkrampfte Atmosphäre, da unten.«
    Der Verschluss der Bierdose klackte, und Dieter trank gierig. »Ahh! Tut das gut. Kanal Ultra steckt noch in den roten Zahlen, weißt du. Einskommafünf Prozent Marktanteil sind einfach zu wenig. Die Serie muss ein Erfolg werden, oder Wildkat kann sich einen neuen Job suchen.«
    Eine Woge des Missmuts erfasste mich. Das Fernsehgeschäft kotzte mich an. Es bestand auch die Möglichkeit, dass ich Dieter um das Bier beneidete.
    Er begann zu erzählen, was auf dem Plan für morgen stand: »Die Geschichte mit dem versuchten Versicherungsbetrug. Der Typ, der seine Jacht im Bodensee versenkt und behauptet, dass sie im Sturm ein Leck bekommen hat.«
    »Wollt ihr das hier auf dem See drehen?«
    »Na klar. Man kann den Bildausschnitt so wählen, dass man nicht sieht, wie klein der See ist. Katinka Muschwitz spielt übrigens die Freundin, die gegenüber der Polizei behauptet, dass sie ihn vorher nicht kannte und rein zufällig mitgefahren ist.« Er nahm einen tiefen Schluck. »Die Jacht kommt erst morgen im Laufe des Tages. Deshalb fangen wir mit der Szene im Wald an.«
    »Was für ein Wald?«, erkundigte ich mich.
    »Wir haben die Verfolgung in den Wald verlegt. Er merkt, dass du hinter ihm her bist, und stellt dich zur Rede. Die Sache wird brenzlig, du ziehst deine Pistole und schießt ...«
    »Ich mache was?«, fuhr ich auf.
    »Du schießt ihn an. Was ist schon dabei?«
    »Hör mal, ich habe diesen Versicherungsbetrüger durch belebte Straßen verfolgt, übrigens ohne dass er es bemerkt hat. Und außerdem benutze ich nie eine Pistole.«
    »Das weiß ich doch. Aber es ist dramatischer, wenn es zu einer Schießerei kommt.«
    »So ein Blödsinn«, maulte ich. »Mit einer Pistole herumfuchteln. Schwachsinnig.«
    Dieter knallte die leere Dose in den Papierkorb. »Jetzt komm mir bloß nicht moralisch. Du hast dich darauf eingelassen, und das heißt: Du spielst nach unseren Regeln.«
    »Hab ich begriffen.« Ich fischte die Zigarilloschachtel aus meinem Sakko. »Was habt ihr aus der Suche nach dem verschwundenen Mädchen gemacht? Wird sie gefesselt, geschändet und dann geköpft?«
    Dieter zupfte an seinen leicht gegelten Haaren. »Wir drehen hier keinen Kunstfilm, klaro? Charly Rommersberger ist nicht Wim Wenders und Kanal Ultra nicht die Filmförderungsanstalt. Glaubst du, mir macht das alles Spaß? Als Autor bist du der Sherpa, der ausbaden darf, was den höheren Kreativitätsträgern einfällt. Der Produzent möchte, dass es möglichst billig ist, der Redakteur will seine Zielgruppen bedient wissen, und der Regisseur glaubt, dass das Ganze sowieso sein Werk ist. Hast du selber mal einen
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