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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Autoren: Juergen Kehrer
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I
    Auf der Treppe traf ich Frau Herzog.
    »Guten Morgen, Frau Herzog. Wie geht es Ihnen?«, sagte ich.
    »Danke. Mir geht es gut. Und wie geht es Ihnen?«, kam die prompte Antwort, was mich zu einem abschließenden »Mir geht es auch gut« veranlasste.
    Seit mehreren Wochen wiederholten wir jeden Morgen diesen Dialog. Anfangs hatte ich versucht, darauf ein Gespräch aufzubauen, mich über das Wetter oder die auf dem Boden liegenden Scherben geäußert. Die Reaktion war ein hilfloses Achselzucken. Frau Herzog weigerte sich standhaft, Konversation zu treiben. Sie hatte, wie mir Klaus, der Besitzer der Disco, verriet, an einem dieser Volkshochschulkurse »Deutsch für Aussiedler« teilgenommen, aber nach der ersten Sitzung die Segel gestrichen. Ich nahm an, dass das Thema der ersten Sitzung »Begrüßungsformeln« gelautet hatte, denn ihr »Danke. Mir geht es gut. Und wie geht es Ihnen?« hatte nur einen ganz leichten kasachischen (oder russischen?) Akzent.
    Dafür putzte sie mit Hingabe. »Wenn du eine Putzfrau suchst«, hatte Klaus gesagt, »nimm dir eine deutschstämmige. Die Deutschstämmigen sind fleißig, mit zwölf Mark pro Stunde zufrieden und geben einen Scheiß auf die Sozialversicherung.«
    Wenn ich eine Putzfrau gesucht hätte, wäre Frau Herzog sicher meine Wunschkandidatin gewesen, nur leider konnte ich mir keine Putzfrau leisten.
    Ich schloss die Stahltür auf.
    Früher war hier mal eine Holztür gewesen. Auf die Dauer stellte es sich jedoch als kostengünstiger heraus, eine Stahltür einzubauen, als alle paar Wochen die Holztür reparieren zu lassen. Das hing damit zusammen, dass der Eingang zu meinem Büro gleichzeitig der Vorraum der Disco war. Knallköpfe, die in der Disco herumstänkerten und von Ringo, dem Türsteher, hinausbefördert wurden, ganz zu schweigen von denen, die gar nicht erst hineingelassen wurden, zerdepperten Flaschen auf dem Flur und traten gegen alles, was so aussah, als könnte es nachgeben. Die Holztür zu meinem Büro hatte dazugehört.
    Ästhetisch gesehen war die Stahltür wahrlich keine Verbesserung, aber immerhin musste ich zugeben, dass seit ihrem Einbau niemand mehr mein Büro verwüstet hatte.
    Nicht, dass eine Verwüstung allzu viel Sinn gemacht hätte. Die Einrichtung bestand, bis auf eine Ausnahme, aus Sperrmüll, die braune Auslegware war seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erneuert worden, und die Klospülung war das einzig fließende Wasser, weshalb ich auf Tassen, Teller und Gläser gänzlich verzichtete.
    Mein Büro lag direkt über der Disco. Das machte, wenn ich abends den Schreibkram erledigte, auch eine Stereoanlage überflüssig. Sobald der DJ die Bässe voll aufdrehte, klirrten sogar die Fensterscheiben.
    Ich kletterte die schmale Treppe hinauf und stand im Flur. Von hier gingen drei Türen ab. Links die Tür zu meinem Arbeitszimmer, geradeaus die Tür zu einem Raum, den ich als Abstellkammer nutzte, rechts die Klotür. Ich ging nach links. Da, auf dem Brett mit den zwei Böcken, stand die Ausnahme vom Sperrmüll, mein ganzer Stolz: ein fünf Jahre alter 286er-PC. Zu Zeiten der Holztür musste ich ihn nachts immer verstecken, aber jetzt, dank der deutschen Stahlindustrie, durfte er die Nächte auf dem Schreibtisch verbringen.
    Das Büro hatte den unschätzbaren Vorteil, dass sogar ich mir seine Miete leisten konnte. Sein Nachteil bestand darin, dass es für den Empfang von Klienten kaum geeigneter war als eine Sitzbank im Südpark. Wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, dass mich meine potenziellen Auftraggeber aufsuchen wollten, verabredete ich mich mit ihnen im Altdeutschen Grill um die Ecke. Altdeutsch waren dort nur die Tischdecken und die Schürzen der Kellnerinnen, für die Hamburger hätte jeder McDonald’s- Koch seine Papiere bekommen. Meistens bestellte ich einen Chefsalat und redete mich gegenüber erstaunten Klienten damit heraus, dass ich vor lauter Stress und Hektik nicht zum Essen käme und deshalb die Gelegenheit der Auftragserteilung zur Nahrungsaufnahme nutzen müsse. Einige kamen mir trotzdem auf die Schliche und entdeckten mein wenig repräsentatives Domizil (oder zumindest die Eingangsstahltür). Von diesen neugierigen Klienten verabschiedete sich dann die Hälfte mit dem Argument, dass sie es sich anders überlegt hätte. Die andere Hälfte sah wegen meiner niedrigen Honorarsätze darüber hinweg.
    So war ich hier oben fast immer allein. Selbst dicke fette Fliegen leisteten mir selten Gesellschaft. Ich nahm es ihnen nicht übel.
    Die
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