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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Autoren: Juergen Kehrer
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fünfhundert Mark pro Tag.«
    Damit hatte er mich endgültig überzeugt.

II
    Angesichts der bevorstehenden Geldflut und der mich erwartenden kulinarischen Genüsse genehmigte ich mir im Altdeutschen Grill ein Kännchen Kaffee und eine Curry-Wurst mit Pommes (»Einmal Manta-Frühstück«, orderte die Kellnerin). Anschließend fühlte ich mich wie eines dieser beklagenswerten Opfer chirurgischer Kunstfehler, bei denen man einen Tupfer oder eine Schere im Magen vergessen hat.
    Der Tag versprach, noch heißer zu werden als seine Vorgänger. Ein schales Versprechen, denn über Münster und dem übrigen Deutschland lastete seit Tagen eine Hitzeglocke. Ich klappte alle Fenster herunter und startete meine Ente. Sie war noch drei Monate TÜV-frei, und ich hatte sie billig bekommen. Nicht gerade das optimale Arbeitsgerät für einen Privatdetektiv, da sie von null auf achtzig in einer Minute dreißig beschleunigte und wegen ihrer rosaroten Farbe so unauffällig war wie ein Punk beim Neujahrsempfang des Bischofs, aber immer noch besser als ein Fahrrad.
    Das Plastiklenkrad war klebrig heiß, ich konnte es nur mit den Fingerspitzen anfassen. Jetzt, im Hochsommer, waren die münsterschen Straßen wie leer gefegt. Die an der Uni eingeschriebenen Landeier hatten sich in ihre heimatlichen Landkreise verfügt, und alle anständigen Familien lagen an den Stränden von Mallorca und der Adria.
    Die zwei Zylinder der Ente klopften und röchelten. Ich lenkte mein Geschoss Richtung Nienberge.
    Um diese Zeit herrschte im Tierasyl Hochbetrieb. Viele der erwähnten anständigen Familien mochten ihre vierbeinigen Mitbewohner nicht mit zum mallorquinischen Strand nehmen und setzten sie kurzerhand auf die Straße.
    Reinrassige deutsche Schäferhunde waren darüber genauso frustriert wie multikulturelle Promenadenmischungen. Alle zusammen kläfften sie sich ihre Wut aus dem Leib, als ich an den hohen Gitterkäfigen entlangschritt.
    »Wolfgang!«, rief ich.
    Wolfgang blieb verschwunden. Ich legte mein Ohr an den Bretterverschlag, in den er sich gewöhnlich verkroch. Eindeutig sein Lieblingslied, »Je t’aime« von Birkin und Gainsbourg. Dazu ein Grunzen, zu dem Jane Birkin nie fähig gewesen wäre.
    »Wolfgang!«, rief ich erneut.
    »Moment!«, knurrte eine Stimme aus dem Inneren.
    Ich wartete drei Minuten und fühlte, wie mir der Schweiß den Rücken entlanglief. Dann schob jemand einen Riegel zurück, und Wolfgang guckte mich aus blutunterlaufenen Augen an. Wolfgang war nicht dick, nein, er war fett. Seine sich konisch verbreiternden Oberschenkel passten in keine gängige Hosengröße, und wenn er mit nach außen gestellten Füßen durch das Asyl watschelte, hüpfte sein über den Gürtel hängender Bauch mit. Trotzdem wurde Wolfgang, was sein Äußeres anging, nicht von Selbstzweifeln geplagt. Heute, zum Beispiel, trug er ein zu kurzes, dunkelgrün geflecktes T-Shirt, das ein Stück weißes Bauchfleisch sichtbar werden ließ.
    »Du hast die Hose offen«, sagte ich.
    Wortlos zog er den Reißverschluss hoch. »Komm rein! Ich will nicht, dass der Chef dich sieht.«
    Drinnen war es fast noch wärmer als draußen. Eine Sauna, in der es gerade einen Aufguss mit billigem Schnaps gegeben hatte. Wolfgang schaltete den Kasettenrekorder aus, schob die Pornohefte auf dem Tisch zusammen und warf sie in die Ecke.
    »Setz dich! Willst du was trinken?«
    »Nein, danke.« Ich stellte die Flasche Whisky, die ich im Arm gehalten hatte, auf den Tisch. »Hier. Für dich.«
    Liebevoll betrachtete Wolfgang das Etikett. Seine Lippen bewegten sich, als er den amerikanischen Namen las. »Verdammt gutes Zeug.«
    Ich nickte. »Habt ihr einen Bobtail reinbekommen?«
    Beim Nachdenken stießen seine Augenbrauen gegeneinander, was ihm den Ausdruck eines intelligenten Gorillas verlieh. »Nee, kein verdammter Bobtail.«
    »Wolfgang, es ist wichtig. Da könnten hundert Mark für dich rausspringen.«
    »Wenn ich’s doch sage.« Er streichelte die Flasche. »Schäferhunde, Boxer, beschissene Pitbulls, aber kein Bobtail.«
    Ich seufzte. »Versprichst du mir, dass du mich anrufst, sobald einer auftaucht?«
    Er drehte den Verschluss auf und schnüffelte. »Wird gemacht, Chef.«
    »Herr Flügel!«, brüllte eine Stimme von weither.
    »Mein Boss.« Hastig drehte Wolfgang die Flasche zu. »Wir müssen raus. Er hat’s nicht gerne, wenn hier Leute drin sind.«
    Als der Leiter des Tierasyls um die Ecke bog, standen Wolfgang und ich vor einem großen Käfig.
    »Sie müssen sich nicht
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