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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Autoren: Juergen Kehrer
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und länger und meine Laune mieser und mieser. Nach »Damenwahl« (ohne Verweigerungsrecht) und anderen Scherzen sehnte ich mich nach meiner Mansardenbude.
    Auch Graulocke drängte zum Aufbruch. Anscheinend waren er und Isabell handelseinig geworden. Im Gänsemarsch, die beiden Paare Arm in Arm und ich hinterdrein, latschten wir zum Theater-Parkplatz. Alle vier quetschten sich unter anzüglichem Kichern in Isabells Polo, die Aktienkurse für Unzucht und -sittlichkeit stiegen minütlich.
    Allerdings nur, bis Yvonne vor ihrem Haus abgesetzt wurde. Ein letzter tiefer Blick des Gelhaarigen, geflüsterte Geständnisse, die ich nicht mitbekam, ein geschlabberter Kuss auf die Wange, und das war’s dann auch. In dieser lauen Sommernacht würde kein Bettlaken in Flammen aufgehen. Jedenfalls keins, auf dem Yvonne Reichardt lag.

III
    Das Schlosshotel Gallitzin war keineswegs der Stammsitz derer zu Gallitzin, deren aufregendste Sprössin, die Fürstin Amalie von Gallitzin, Gattin des russischen Fürsten Dmitrij Golizyn, geistige Mitstreiterin des katholischen Reformers Franz Freiherr von Fürstenberg und Partnerin heftiger Briefwechsel mit Goethe und Claudius, immerhin in der Nähe gewohnt hatte. Tatsächlich gehörte das Wasserschlösschen seit dem fünfzehnten Jahrhundert dem eher langweiligen und unauffälligen Adelsgeschlecht der Ritter von Remsen-Baringfeld, das sich in den Sechzigerjahren unseres Jahrhunderts, wohl unter dem Druck einer schweren blaublütigen Finanzkrise, dazu entschloss, die Familienherberge in ein nobles Hotel mit kulinarisch hochstehendem Restaurant umzuwandeln. Ob nun die umtriebige Fürstin Amalie gelegentlich auf einen Kaffee vorbeigekommen war oder der Hotelmanager nur nach einem prägnanten Namen aus der Heimatgeschichte gesucht hatte, auf jeden Fall hieß das Hotel schlicht und einfach Gallitzin.
    Vom Hotelparkplatz aus konnte man den See überblicken. Der breite Sandstreifen war ein beliebter Platz für abendliche Grillpartys, und die mückengeschwängerte Sommernachtluft war durchsetzt vom Rauch einiger Lagerfeuer. Obwohl ich nichts gegen ein gegrilltes Steak einzuwenden hatte, würde ich mich in den nächsten Tagen wahrscheinlich mit gebeiztem Wildlachs und getrüffelter Poulardenbrust zufriedengeben müssen. Schicksal.
    Ich schritt über die ehemalige Zugbrücke, kam an der kleinen Hauskapelle vorbei und stand, nachdem ich das imposante Portal durchquert hatte, in der holzgetäfelten Eingangshalle. Dort hatte ich die Aufmerksamkeit eines dezent livrierten Zerberus ganz für mich allein.
    »Ich suche das Mega Art -Filmteam«, beantwortete ich seine freundlich gestellte Frage.
    »Einige der Damen und Herren sind in der Hotelbar. Werden Sie auch bei uns wohnen?«
    »Ich denke schon.«
    Worauf er sich spontan bereit erklärte, meine zerfledderte Ledertasche zu bewachen, bis ich von der Kontaktaufnahme zurück sei.
    Die Hotelbar lag im Untergeschoss. Sparsame Strahler, die die dicken Säulen des Kellergewölbes abtasteten, schufen eine gruselfilmhafte Atmosphäre. Einziger gleißender Fixpunkt war die Theke aus weißem Marmor, hinter der ein Barmann Gläser polierte. Bevor sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sprang eine große sehnige Gestalt auf mich zu.
    »Hallo Georg! Schön, dass du da bist. Wir haben schon auf dich gewartet.«
    Dieter Pierchowiak legte seinen Arm um meinen Hals, als hätten wir zusammen in den Sandkasten des Kindergartens gepinkelt, und zog mich zu einem Tisch. »Darf ich dir die wichtigsten Männer des Unternehmens vorstellen: Das ist Charly Rommersberger, der Regisseur, Franz Poppelhove, der Produzent und Chef von Mega Art, und Heri Wildkat, Redakteur bei Kanal Ultra, also unser eigentlicher Auftraggeber.«
    Der Reihe nach schüttelte ich Hände und nahm gebrabbelte Begrüßungsformeln entgegen. Rommersberger war ein Mann mit byzantinischem Bauchumfang und sorgfältig gestutztem, grauen Bart im aufgeschwemmten, von großen Tränensäcken verunstalteten Gesicht. Poppelhove gab den sonnenbankgebräunten Yuppie im mindestens zweitausend Mark teuren Anzug und maßgeschneiderten Oberhemd. Die Eisluft schaufelnde Klimaanlage verhinderte hässliche Schwitzflecken. Bei dieser Beleuchtung hätte er für dreißig durchgehen können – ich schätzte ihn eher auf vierzig. Wildkat sah aus wie ein abgebrochener Soziologiestudent im 63. Semester: lange Haare, schlabberiges schwarzes Behind The Scenes- T-Shirt. Nur die teure Armbanduhr am Handgelenk verriet, dass er zu
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